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Tanz in die Anderswelt

■ Das japanische Theaterensemble Umewaka Kennokai führte jetzt in der Glocke drei vollendet entfremdete Nô-Spiele auf

Die Bewegungen wirken extrem unnatürlich, die Gesten auf symbolische Bewegungen reduziert, die Gewänder sind so füllig und kantig, dass man die Körper darunter kaum erahnen kann. Gesprochen wird in einer sehr stilisierten Betonung, und oft übernimmt der Chor mitten im Satz die Rede eines Protagonis-ten. Die Musik ist betont spröde, fast abstrakt, und auf der Bühne entfaltet sich alles so langsam, als wäre die Welt in einer ewigen Zeitlupe gefangen.

Wenn man als hiesiger Zuschauer irritiert und auch ratlos auf diese so ganz und gar fremdartige Kunst reagiert, ist man schon auf dem rechten Weg, denn genau diese Reaktion wird, wie nun in der Glocke zu bestaunen war, im Nô-Theater angestrebt. Mit allen Mitteln soll hier eine Welt dargestellt werden, die anders als die uns umgebende ist. Deshalb die schrillen, unmelodischen Töne der Bambusflöte, deswegen die atavistisch klingenden Ausrufe der Trommler, deshalb die unbewegten Gesichter der Spielenden und die Masken, die immer ein wenig zu klein für die sie bedeckenden Gesichter sind, so dass man ständig auch noch den Menschen hinter der Maske im Auge hat.

Bert Brecht soll durch das asiatische Theater zu seinem Stil der Verfremdung inspiriert worden sein, und das Nô ist so etwas wie die vollendete Verfremdung. Inhalt und Form sind dabei kunstvoll ineinander verwoben, denn fast immer wird von mystischen Grenzerfahrungen erzählt. Die beiden Hauptstücke handelten von einer Fee, die nicht mehr in den Himmel zurückkehren kann, solange ein Fischer ihr gefundenes Federgewand nicht zurückgibt, und von einem Gärtner, der nach seinem Tod als Dämon die Hofdame peinigt. Alle Stücke sind auf die buddhistische Philosophie ausgerichtet und streben einen Zustand der vergeistigten Erlösung an.

Ganz und gar weltlich sind dagegen die burlesken Zwischenstücke ausgerichtet, in denen humorvoll die Schwächen der Menschen beschrieben werden. Sie sind für ein nicht eingeweihtes Publikum noch am ehesten zugänglich, und so gab es in der Glocke bei dem Stück „Der Bräutigam bei der Bootsüberfahrt“ sogar ein paar laute Lacher, als die beiden Spielenden mit (plötzlich gar nicht mehr so minimalistischen) Gesten eine Fahrt auf einem wackeligen Kahn darstellten und der Fährmann sich immer mehr Wein aus dem Krug des wasserscheuen Bräutigams erschlich.

Die Geschichten, Theaterarchitektur, Worte, Bewegungen, Rituale wurden schon im 15. Jahrhundert in ihre endgültige Form hinein verfeinert – es gibt keinen Regisseur, keine Inszenierung im herkömmlichen Sinne, sondern die einzelnen Spieler (alle aus Familien, die seit Generationen etwa immer die gleiche Trommel bei den Aufführungen schlagen) versuchen, auf der Bühne das Ewiggleiche des Nô jeweils mit neuem Leben zu erfüllen.

Für einen hiesigen Zuschauer oder Kritiker ist es unmöglich, ein Qualitätsurteil zu fällen. Man muss den Veranstaltern glauben, dass das Umewaka Kennokai-Ensemble zu den besten und renommiertesten Nô-Gruppen Japans gehört. Durchaus bewerten kann man aber die Mühen, mit denen die Organisatoren versuchten, dem deutschen Publikum das Nô-Theater zumindest in Ansätzen verständlich zu machen.

So waren im sehr schmucken Programmheft die Texte der Stücke übersetzt und daneben in Lautschrift abgedruckt, so dass man ganz gut mitlesen konnte. Da war es dann schon tröstlich, wenn man bei der unentschlüsselbaren Fülle von Chiffren, Riten und Stilmitteln las, dass die Spielenden auch so menschliche Äußerungen wie „Ach, wie froh bin ich“ oder „Was ist die Liebe doch für eine schwere Last“ von sich gaben.

Wilfried Hippen

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