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Nach dem Frühstück ins Bett

Morgen ist der „Tag des Schlafes“. Bericht einer Narkoleptikerin aus einem Schlaflabor

Der morgige „Tag des Schlafes“ wird ohne mich stattfinden müssen. Für mich ist jeder Tag Tag des Schlafes; schließlich will man nachts ja fit sein. Am Mittwoch treffen sich Wissenschaftler in Bonn, um die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Schlafforschung zu diskutieren. Jedes Apothekenblatt wird wieder über Schlafstörungen berichten und mit Schlafstörungen meinen, dass man im Bett liegt und nicht einschlafen kann. Mir als Narkoleptikern entlocken solche Sorgen nur ein müdes Lächeln. Mal zur Abwechslung nicht einschlafen zu können scheint mir durchaus erstrebenswert.

Wenn ich eine Mark für jede Liebeserklärung hätte, während deren ich eingeschlafen bin, wäre ich zwar nicht direkt wohlhabend, aber für eine Tasse Kaffee würde das Geld schon reichen. Und wenn man nur die Zeit gelten lässt, die ich in wachem Zustand an der Uni verbracht habe, bin ich statt im 22. Semester erst im 4. Da meine Mutter sich dieser Rechnung aber verschließt, lasse ich mir einen Termin im Schlaflabor geben, um mir schriftlich bestätigen zu lassen, dass ich an einer ordentlichen Krankheit leide und kaltes Duschen nicht hilft.

Um acht Uhr abends muss ich mich dort einfinden und als erstes zahlreiche Fragebögen ausfüllen. Highlight der Befragung ist: „Fühlen Sie sich: – eher sündig? – eher rein?“ Auf Nachfrage erklärt man mir, ich sei ja noch gut dran; man habe oft ausländische Patienten, denen man den Begriff Sünde erst mühsam erklären müsse. Dann kleben mir zwei Schwestern Elektroden auf den Kopf und ins Gesicht, wobei sie eine Art Good-Cop/Bad Cop-Methode einsetzen: Die eine führt kompetent die Aufsicht, während die andere mit großer Ausdauer alles an die falschen Stellen klebt und zwischendrin lange Denkpausen einlegt, in denen sie neue Fehler ersinnt. Man testet die Elektroden, ob sie auch alle meine schmutzigen Gedanken in den Nebenraum übertragen (natürlich nicht, weil sie dank den Bemühungen der anderen Schwester falsch angeschlossen sind), ich muss mir einen Temperaturfühler in den Arsch fädeln und werde sechs Stunden vor meiner üblichen Schlafenszeit ins Bett gesteckt. Der Lichtschalter ist außen.

Das sechs Quadratmeter große Zimmer hat keine Fenster und wird von einer rauschenden Klimaanlage konstant auf einer etwa fünf Grad zu hohen Temperatur gehalten. Das Kabelgestrüpp behindert mich bei jeder Bewegung, und ich bin der modernen Apparatemedizin sehr gram. Erst als ich mir vorstelle, im Gefängnis zu sein, fühle ich mich wohler und schlafe ein.

Der nächste Morgen verläuft höchst unerfreulich. Es ist erst acht Uhr, und ich muss mir den fiesen Temperaturfühler vor den Augen der Schwester wieder aus dem Arsch popeln. Selbst rohe Gemüter wie ich (ich habe auf dem Fragebogen alle moralisch depravierten Items angekreuzt: ich lüge regelmäßig und trage Meinungsverschiedenheiten schon mal handgreiflich aus) sind um diese Tageszeit empfindlich. Weitere Fragebögen warten. Übellaunig kreuze ich alle „Ich habe miserabel geschlafen und will die Geschäftsführung sprechen und mein Geld zurück“-Optionen an. Im Vergleich zur letzten Befragung habe ich schon etwa fünfzig Prozent an Zuversicht, Selbstbewusstsein und Lebensfreude eingebüßt. Vielleicht zieht die Wissenschaft daraus ja endlich den überfälligen Schluss, dass auf dem frühen Aufstehen kein Segen liegt.

Nach dem Frühstück darf ich gleich wieder ins Bett. Für den Tag steht jeweils eine halbe Stunde Schlaf um 9, 11, 13, 15 und 17 Uhr auf dem Programm – eigentlich ein Tagesablauf ganz nach meinem Geschmack, aber doch ein bisschen öde. Höhepunkt des Tages ist ein Ausflug zum Schokoriegelautomaten im Erdgeschoss, wo mir eine alte Schachtel zuvorkommt, die nach langem, sehr langem Sinnieren Geld einwirft und zielstrebig eine Tastenkombination drückt. Trübe und teilnahmslos sehen wir beide zu, wie sich die einzige nicht gefüllte Spirale im Automaten in Bewegung setzt und für eine Mark vierzig Luft in den Ausgabeschacht schaufelt. Wenn so das Leben der Um-acht-Aufsteher aussieht, dann können sie das gern auch weiterhin ohne mich führen. Und sollte ich mir in der nächsten Zeit ein Bein brechen, werde ich Heftpflaster draufkleben und es zu Hause auskurieren. Mein Bedarf an lindgrün gestrichenen Institutionen ist fürs Erste gedeckt.

KATHRIN PASSIG

Hinweis:Erst als ich mir vorstelle, im Gefängnis zu sein, fühle ich mich wohler und schlafe ein

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