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Zauberhafte Provokateure

Die Jugoslawen, jüngst vom kleinen Ex-Eigentum Slowenien zeitweise vorgeführt, gefallen sich in der Rolle der bösen Buben und zeigen beim 1:0 gegen Norwegen geheimfavoritenhaften Klassefußball

aus LüttichBERND MÜLLENDER

Ständiger Unfairness und Provokation bezichtigt, als Täter angeklagt: Diese Rolle mögen die Jugoslawen sehr. Schon immer waren sie Nobodys Darling und Adressat vielfältiger Beschimpfungen: Fällt einer von ihnen um, ist es stets Schauspielerei. Gleitet ein Gegner kopfüber ins Grün, ist es mindestens eine Tätlichkeit gewesen, wenn nicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Jugoslawen als Bösewichte und hinterhältige Schurken in der internationalen Fußball-Gemeinschaft, aus der sie 1992 und 1996 aus Gründen, die im richtigen Leben liegen, ausgeschlossen waren. Im Sandkasten würden alle Kinder rufen: Bäääh, mit denen mag ich aber nicht spielen. In Lüttich mussten die Norweger mit ihnen spielen.

Deren Spieler, selbst anerkannt praktizierende Rustikaliker des Weltfußballs, schimpften über die jugoslawischen Schauspieler und Provokateure. Trainer Nils Johan Semb moserte über Zeitschinderei und Mätzchen: „Das war wohl ein neuer Weltrekord; der Ball war in der 2. Halbzeit vielleicht 15 Minuten im Spiel. Das ist gegen die Idee des Fußballs. Darüber bin ich sehr sauer.“ Wenn der Fußball-Jugoslawe derart attackiert wird, fühlt er sich besonders wohl. Weil er dann zynisch zurückzündeln kann wie Coach Vujadin Boskov: Die armen Norweger sollten sich „mal nicht beschweren“, deren Mannen seien „halt technisch nicht so gut“, seine Kicker können sogar „mit beiden Füßen spielen“. Mätzchen? „Ja, ja, ein Tritt gegen den Kopf ist ja keine schlimme Verletzung.“ Ob es ein faires Match war (Turnierrekord: sechsmal Gelb, einmal Rot)? Boskov: „Ein sehr faires Match und immer korrekt.“

Boskovs Predigt lief, in kongenialem Zusammenspiel mit der serbischen Dolmetscherin, in schnellen Halbsätzen, simultan in englische Brocken geklumpt, manchmal nach zwei, drei Worten nur, wie eine Serie Maschinengewehrsalven. Aber immer auf unaufgeregte Wirkung bedacht. Boskovs feinsinniger Schluss: „Ich glaube, die Norweger waren nervös und überrascht vom Ergebnis.“ Ja, das frühe 0:1. Für Norwegen eine Katastrophe. Diese Elf hat genau zwei Gesichter: Wenn sie in Führung gehen, wehe dem Gegner. Wenn sie zurückliegen, wehe ihnen selbst.

Die bösen Buben haben einiges für ihr schlechtes Image getan, aber sie haben auch richtig toll gespielt. Technisch brillante Spielkunst auf Topniveau, die Boskow als „eine Entschuldigung für das Slowenien-Spiel“ interpretierte. Beim 3:3 gegen das Ex-Eigentum Slowenien hatten sie faulen und inspirationsfreien Standfußball gegeben. Ihre vielen Gesichter machen den Geheimfavoriten so schwer ausrechenbar. Die erste entscheidende Gesichtskontrolle folgt morgen, gegen Spanien.

Das giftige Spiel korrespondierte mit zwei konträren Erscheinungen. Die norwegischen Fans (siehe unten) und Jugoslawiens Kapitän: Dragan Stojkovic, ein ganz Großer der Technik und Spielkunst – wenn er Lust hat. In Lüttich hatte er sehr große Lust. „Pixi“, der sonst im japanischen Nagoya kickt und als bester Spieler der J-League gefeiert wird, ein traumwandlerischer Passgeber, Dribbler und Trickser. Dazu sogar noch dauernd unterwegs mit 35 Jahren bei 30 Grad. Das Schönste ist sein instinktives Erahnen, wie Spielzüge, die ganz woanders beginnen, weitergehen. Wie er pantherhaft lauert, im richtigen Moment an den richtigen Ort losläuft, wie zwischenzeitlich ganz andere Dinge passieren, und dann ist der Ball bei ihm. Kurz: ein Genuss. Und Stojkovic bewies eine andere Eigenschaft: freche Ironie. Als er zum „Player of the Match“ ernannt wurde, nahm er den Sponsoren-Pokal dieser albernen PR-Aktion „absolut glücklich“ entgegen und erklärte würdevoll: „Ich freue mich sehr. Denn ich habe schon viele Trophäen dieser Art.“ Die beleidigten Norweger werden ihm dies als gemeine Undankbarkeit auslegen.

Norwegen: Myhre - Heggem (35. Björnebye), Eggen, Bragstad, Bergdölmo - Iversen (71. Carew), Eirik Bakke (76. Strand), Skamelsrud, Mykland, Solskjaer - Flo Jugoslawien: Kralj - Komljenovic, Saveljic, Djukic, Djorovic - Stojkovic (84. Nadj), Jokanovic (88. Govedarica), Drulovic, Jugovic - Mijatovic (87. Kezman), Milosevic Zuschauer: 27.000; Tor: Milosevic (8.); Rote Karte: Kezman (88.) wegen groben Foulspiels

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