: Insel der Unseligen
China hält sich zurück: Drei Jahre nach der Übergabe ist nicht Zensur, sondern Selbstzensur die größte Gefahr für Hongkongs Pressefreiheit
aus HongkongDANIEL BAX
Lilly Wong ist wieder zurück. Fünf Jahre lang war sie abgetaucht. Doch seit ein paar Wochen schmückt sich in Hongkong die neue Tageszeitung iMail mit der Comic-Heldin. Ein Seitenhieb gegen die etablierte Konkurrentin, die South China Morning Post. Dort nämlich hatte sich Lilly Wong zehn Jahre lang austoben dürfen – bis ihr Schöpfer, der Zeichner Larry Feign, im Mai 1995 seinen Schreibtisch räumen musste. Seinen Vorgesetzten war sein Comic-Strip schlicht zu frech geworden. So wurde, schon vor der Übergabe der ehemals britischen Kronkolonie an China, aus der harmlosen Strichfigur ein Symbol für zunehmende Selbstzensur.
Hinter iMail stehen ausländische Investoren – das erklärt die Unbekümmertheit gegenüber ortsüblicher Vorsicht. Allerdings ist die englischsprachige iMail beileibe nicht die erste Tageszeitung in Hongkong, die sich durch ein kritischeres Profil von der Konkurrenz abzuheben versucht. Im Bereich der chinesischsprachigen Presse sorgte schon vor der Übergabe das Boulevardblatt Apple Daily für Furore, das gerne hart mit Peking ins Gericht ging – „zum Teil aus unternehmerischem Kalkül, zum Teil aus Überzeugung“, wie Publizistik-Professor Clement So meint: „Manche Zeitungen haben damals gemerkt: Wenn sie sich nicht eindeutig auf die Seite Hongkongs stellen, dann verlieren sie Leser.“ Viele andere Zeitungen in Hongkong gehören Mischkonzernen, die in China aktiv sind. Pekings Parteiführung ist für diese Unternehmen stets auch ein Geschäftspartner, auf den man Rücksicht nimmt.
Misstrauen gegen Peking
Vorauseilender Gehorsam dieser Art ist das größte Problem von Hongkongs Presse. Zumal diese Selbstzensur viel wirksamer und weniger offensichtlich als jede Intervention von außen ist: Gegen die wehrt man sich selbstverständlich nach Kräften. Jeder Versuch der Pekinger Administration, am derzeitigen Mediensystem der „Sonderverwaltungszone“ und ehemalig britischen Kronkolonie zu rütteln, wird misstrauisch beäugt. So wurde kürzlich der Entwurf eines Anti-Pornografie-Gesetzes von der Medienmehrheit als versuchte Gängelung betrachtet und vehement abgelehnt.
Viel brisanter ist allerdings die Frage nach Artikel 23 von Hongkongs Übergangsverfassung, der den Schutz der nationalen Sicherheit Chinas betrifft: Kritiker erwarten nichts Gutes, sollte der Paragraf mit Leben gefüllt werden. Und trotz des Drängens aus Peking zaudert man in Hongkong, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen.
Bisher hat Peking erstaunliche Geduld gezeigt und sich direkter Einmischung enthalten. Ob die Proteste der Falun-Gong-Anhänger oder die Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz: Was auf dem Festland schon im Ansatz unterdrückt würde, wird in Hongkong immer noch in den Medien reflektiert und diskutiert, und das weitgehend unbeanstandet. Nur als der Privatsender Cable TV nach den Wahlen in Taiwan ein Interview mit der designierten taiwanischen Vizepräsidentin Annette Lu ausstrahlte, rüffelte Peking den Sender. „Wir würden das Gleiche noch einmal tun“, beteuert Robert Chiu, der Nachrichtenchef von Cable TV, der sich durch die geltende Rechtslage geschützt sieht. Dass er fast die gesamte Branche hinter sich weiß, sagt er, „macht mich zuversichtlich“.
Allerdings weiß auch er, dass sein Sender eine Ausnahme in Hongkongs Medienlandschaft darstellt. „Die Gefühlslage hat sich geändert“, meint Clement So – die Mehrheit der Einwohner Hongkongs habe heute weniger Vorbehalte gegenüber China. Zumal die chinesische Führung bisher Wort gehalten habe. „Es herrscht die Einstellung vor: Man muss sich der Realität stellen.“ Dass die Medien Konfliktthemen heute eher scheuten, sei dabei „ein schleichender und freiwilliger Prozess. Das öffentliche Interesse an einer Konfrontation zwischen China und Hongkong, wie an Politik überhaupt, ist zurückgegangen“, analysiert So. Das Schicksal der iMail scheint ihm Recht zu geben. Die Verkaufszahlen des neuen Blatts blieben bisher hinter den Erwartungen zurück. Trotz Lilly Wong.
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