: Trommler, grüß' die Sonne!
■ Norddeutsches Gipfeltreffen: Das Sonnwend-Ritual bei den Externsteinen zog Goa-Fans, Jesusfreaks und Hobbydruiden an
Die Mittsommersonnenwende feiern die SkandinavierInnen alljährlich mit einem großen Volksfest. Der längste Tag und die kürzeste Nacht sind dort traditionell ein willkommener Anlass für den kollektiven Vollrausch. In Deutschland sieht man das etwas anders.
Wer es hierzulande den SkandinavierInnen gleichtun möchte, zufällig keltischen Glaubens ist, einen Hang zu germanischer Mythologie verspürt oder einfach nur nicht glaubt, es handle sich lediglich um ein meteorologisches Datum, dem empfehlen sich die Externsteine bei Detmold als Austragungsort ritueller Handlungen jedweder Art.
So traf sich all dort am Dienstag wieder eine bunte Mischung aus Goa-Fans, Jesusfreaks, Punks und Hobbydruiden, um ihren diffusen religiösen Neigungen durch nächtlichen Bier- und Metgenuss Formen zu verleihen. Galt dieser Ort doch schon unseren Vorfahren als heilige Stätte und Ort der Kraft: Armin der Cherusker soll hier vor der Schlacht im Teutoburger Wald seine Ansprache an die versammelte Heeresschar der Germanen gerichtet haben.
Hauptbestandteile der diesjährigen Liturgie bildeten eine Kombination aus Gomera-Trommeln und Ausdruckstanz. Ein Team Feuerspucker setzte dabei Akzente. Zwar ist sich die hiesige Gemeinde notorisch uneins darüber, ob nun die Nacht vor oder nach dem 21. Juni das den Göttern genehmere Datum für solches Tun darstellt, doch die zuständige Forstverwaltung focht diese Spitzfindigkeit im theologischen Disput bei der Drucklegung ihrer Gebrauchsanleitung für die Feier nicht an. Großzügig genehmigte sie „das Zelten und Lagern – ohne Feuer – auf der Wiese“ gleich an beiden Tagen und legte für ein Freudenfeuer auf dem Vorplatz eigens das Brennholz bereit. Über die Einhaltung der Spielregeln wachte sodann eine halbe Kohorte Polizis-tInnen. „Hameln Caesar drei null sechs“ hatte strikte Order, den Aufgang zum inneren Heiligtum erst um 4.30 Uhr morgens freizugeben. Die oben in 20 Meter Höhe in den Fels eines der drei Steintürme gehauene Kammer unklarer Herkunft stellt mit seinen Felsnischen, dem „Altar“ und einem kreisrundem „Sonnenloch“ für viele so etwas wie das teutonische Gegenstück zum englischen Stonehenge dar. Und so drückten sich die Novizen im Morgendämmer auf 10 Quadratmeter Kultraum um das Kamerateam von RTL, und warteten geduldig darauf, dass die ersten Sonnenstrahlen des neuen längsten Tages durch das dafür vorgesehene Loch fallen möge. Nach der Blamage vom letzten Jahr, als allzu offenherzige Äußerungen in die vorgehaltenen Mikrofone der Sensati-onspresse eine hämische Berichterstattung nach sich zogen, referierten die Privatgelehrten diesmal zurückhaltender, in Zivil und nur im Flüsterton. Ansonsten beschränkte sich die anwesende Gemeinde darauf, einen möglichst guten Platz mit Aussicht auf den Horizont zu ergattern. Dann um 5.07 Armbanduhrzeit, der große Moment: Die Sonne ging auf. RTL filmte, auswendig gelernte Beschwörungsformeln konnten endlich gemurmelt werden. Ein blutjunges Mädchen schloss medienwirksam die Augen und sang verzückt mit heller Stimme. Jünglinge spielten selbstgebas-telte Digeridoos und fanden Medien Scheiße. – Und natürlich Trommeln! Olaf Liebert
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