: Requiem für einen hässlichen Tunnel
■ Fünf von zehn Zugängen zur Brillpassage werden geschlossen / Händler fürchten wegen Mausefalleneffekt um ihre Existenz
Am Dienstag dominierte im Brilltunnel die Farbe Orange: Jeder und jede bekam beim Abstieg in die Tiefe einen leuchtenden Zettel, hatte ihn beim Aufstieg wieder abzugeben. Passantenzählung. Wer von welchem Abgang zu welchem Aufgang wie oft geht. Denn fünf von zehn Zugängen werden im kommenden Jahr geschlossen – die Zählung ist Bestandteil des so genannten Entwidmungsverfahrens, so die bürokratische Bezeichnung für das Dichtmachen.
Welche Zugänge geschlossen werden, steht längst fest: Die beiden an der Martinistraße, der an der Sparkasse, der vor der Apotheke in der Hutfilterstraße und der Aufgang zur Bürgermeister-Smidt-Straße vorm Bettenhaus Wührmann. Doch die Zählung soll dem Bauressort Fakten an die Hand geben für den Fall, dass sich jemand beschwert. Und es hat sich schon jemand beschwert: Die Händler unter der Erde sehen ihre Existenz bedroht. Sie haben in der vergangenen Woche Einspruch beim Amt für Straßen und Verkehr gegen die Schließung eingelegt. Hans-Heinrich Bertram, Sprecher der Interessengemeinschaft Brill, zu der auch Wührmann und Leffers in der Faulenstraße gehören, wirft der Stadt vor, sie wolle die Händler „aushungern“. Etwa 100 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, argumentiert die Gemeinschaft, 50 in der Passage und weitere 50 bei Zulieferern. Und dass Leffers und Wührmann keine Einbußen hätten, wenn zwei von drei Zugängen zum Faulenquartier wegfielen, mag man dort auch nicht glauben. Anwalt Heinrich Immoor, der die Interessengemeinschaft vertritt, spricht gar von Schadenersatzansprüchen, die so entstehen könnten.
Die Geschäfte im Keller hassen vor allem die Sparkasse. Sie baut oben ein neues Kundenzentrum und will die „Barrierefunktion des Tunnels weghaben“, erklärt Hermann Singer von der Sparkasse. „Einseitig fokussiert“ seien die Vorwürfe, und überhaupt: „Es haben schon Händler angefragt, ob wir ihnen Flächen vermitteln, falls der Tunnel geschlossen wird.“
Dass die Brillpassage in ihrem schummrigen, muffeligen 70er-Jahre-Outfit nicht attraktiv ist, darüber sind sich offenbar alle einig. Dass man sie aber nicht jetzt schon zuschütten kann, wird von städtischer Seite mit langfristigen Mietverträgen, so mit der Kaufhalle, begründet. Außerdem sei die Straßenbahnhaltestelle Am Brill eine der höchst frequentierten, ein Zugang von unten müsse wegen der Autoströme oben bleiben.
Ein Teil der Händler will im Dunkel ausharren, fragt wie Erkan Güner vom Mersin Imbiss: „Wir haben hier viel riskiert, was soll als Nächstes werden?“ Andere suchen nach Alternativen: „Die Stadt zeigt kein Interesse, die Passage zu pflegen“, sagt Martin Kiefert vom gleichnamigen Wurstverkauf, „hier passiert keinerlei normale Instandhaltung.“ Für ihn hat „der Tunnel keine Zukunft mehr“. Sein Unternehmen werde am Brill bleiben, dann eben oben, mit der Stadt liefen Gespräche in Richtung „einvernehmliche Lösung“.
So lasse man den Tunnel sterben, interpretiert ein Insider die Vorgänge. Von unten kommt man schlechter ins Faulenquartier, von oben aber wegen der Automassen nicht besser. Das sei „unentschiedene Politik“. sgi
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