: Mitgefühl auf Vorrat
Die Welt mag sich ändern, der Revolutionsbarde Billy Bragg aber bleibt sich treu: Zum zweiten Mal reanimiert er nun seinen Helden Woody Guthrie
von JENNI ZYLKA
Wo bleiben Stars von gestern, von vor zehn oder fünfzehn Jahren eigentlich ab? Einige, wie das New-Wave-Weichei Nik Kershaw, versuchen grauselige Comebacks. Andere, wie der Specials-Sänger Terry Hall, schaukeln in modernen Pop-Videos von No Doubt melancholisch im Hintergrund herum. Und von manchen hört man erst wieder etwas, wenn sie sterben.
Ein paar aber arbeiten einfach weiter, als ob nichts gewesen wäre. Zum Beispiel Billy Bragg, heute 43, früher mit „I don’t want to change the world, I’m not looking for a new England, just looking for another girl“ der Folkpop-Held der 80er-Jahre, jedenfalls für damals politisierte, romantische junge EuropäerInnen. Aus den politisierten, romantischen jungen EuropäerInnen sind mittlerweile mittelalte Familienmenschen geworden. Aus Billy Bragg aber ein braun gebrannter, energiegeladener Bauchansatzträger, der zum Treffen in einem Hamburger Hotel nicht nur seine unverkennbare Nase, sondern auch eine Mappe mit original Woody-Guthrie-Texten mitbringt. Bragg ist auf Promo-Tour für seine Platte „Mermaid Avenue Vol. 2“, auf der er zum zweiten Mal Guthrie-Songs und -Gedichte vertont. Wie bei der ersten Ausgabe hat Bragg zusammen mit der amerikanischen Rockband Wilco Melodien und Arrangements gesucht für die Texte aus dem Nachlass seines Helden, für die die Noten verloren gegangen sind.
Früher, in seiner großen Zeit Mitte der 80er, schien Bragg immer irgendwie schüchtern, wie er sich nur mit seiner Gitarre begleitete, mit eindringlicher, jungenhafter Stimme von Politik sang und von Liebe. Jetzt ist er selbstsicherer, wirkt bodenständiger, vielleicht weil er, wie viele seiner Fans, Familienvater ist; oder auch nur, weil man graumelierten Männern allein optisch mehr Selbstvertrauen zuspricht.
Er wirbelt herum, schwingt sich locker auf das Lobby-Sofa, holt sich Kaffee. Im Interview aber redet er noch genauso ernst und beschwörend wie damals auf der Bühne, als er „Capitalism is killing music“ auf eines seiner Alben schrieb, und „This guitar says sorry“ auf seine Gitarre. Hat er noch die gleichen Ambitionen? „Ich bin kein politischer Sänger“, sagt Bragg heute, „ich betrachte mich eher als einen ehrlichen Songwriter.“ Es hat sich halt einiges geändert, nicht inhaltlich, aber äußerlich. Angefangen damit, dass er nur noch für eine bestimmte Generation von Menschen eine Bedeutung hat, Menschen wie seine Freundin Juliette, die früher die britische Ska-Band The Selecter gemanagt hat und heute mit Billy und ihrem gemeinsamen sechsjährigen Sohn Jack außerhalb von London lebt.
Juliette weiß, wie so ein Ex-Folkpop-Star tickt: „Sie kennt das Musikbusiness. Sie versteht, dass ich zum Beispiel jetzt diese Pressetage machen muss, um die Guthrie-Platte vorzustellen.“ Und auch, dass Bragg nach klassischer Musikermanier nachts arbeiten und morgens ausschlafen muss und damit klar ist, wer das Kind zur Schule schickt.
Er scheint nicht zu erwarten, dass die schöne, musikalisch unauffällige, gitarrenlastige Folkpop-Platte ein Charts-Erfolg wird, gar an seinen letzten Hit „Sexuality“ von 1991 anknüpft. Auch wenn die von Guthries Tochter Nora nummerierten und von Bragg sorgsam in Plastikfolie verpackten Texte, geschrieben zwischen 1935 und 1950, durchaus aktuell sind. „Heutzutage ist es viel schwieriger, Sachen wie Apartheid zu thematisieren – das interessiert keinen mehr so richtig.“ Sagt Bragg. Er scheint dabei kaum resigniert, schätzt aber seine Chancen, zum Folkpop-Helden des neuen Jahrtausends zu werden, realistisch ein: „Ich bin Internationalist, aber ich bin auch Engländer. Und momentan muss man England quasi aus den Händen der Faschisten und Hooligans zurückholen.“
Mit der Guthrie-Platte, in deren Texten es, wie meist bei Guthrie, um Faschisten, um die Regierung und ihre unsinnigen Gesetze geht, versucht er ein Stück linke Tradition fortzusetzen. Wie damals vor 15 Jahren, als er zusammen mit ein paar ähnlich gepolten britischen Bands, unter anderem den Communards und Style Council, die Organisation Red Wedge gründete, um die Labour-Partei zu unterstützen. Bis sich die Engländer mit Einverständnis von Labour in den Golfkrieg einmischten.
Bragg wandte sich enttäuscht ab, von der Partei, nicht von seinen Idealen oder seinem Beruf. Er hat nie aufgehört, Musik zu machen, brachte alle paar Jahre ein mehr oder weniger unbeachtetes Album heraus. Immer mit einer politischen Aussage, eingebettet in Folk und Folkpunk. „Will man eine McDonald’s-Gesellschaft?“, fragt er am Schluss des Gesprächs eindringlich, „oder will man eine Gesellschaft, die Mitgefühl hat?“ Braggs Mitgefühl reicht bestimmt noch für ein paar Jahre.
Billy Bragg & Wilco: „Mermaid Avenue Vol. 2“ (Elektra/ Warner)
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