: Konzeptionelle Fehlstellen
Die Künstlergruppe p.t.t. red agiert seit zehn Jahren im öffentlichen Raum. Unter dem Titel„Das Ereignis findet nicht statt“ zeigt sie jetzt ihre neuesten Projekte in der museumsakademie berlin
von YVES ROSSET
„Deutschland abschalten“, lautete einer der Slogans, mit denen zur diesjährigen „revolutionären“ Berliner 1.-Mai-Demonstration gerufen wurde. Wie es bei der Verwirklichung eines solchen Projekts aussehen könnte, ist jetzt in der museumsakademie zu sehen. Dort hat die Berliner Künstlergruppe p.t.t. red („paint the town red“, eine amerikanische Redewendung, die so viel wie „etwas auf den Kopf stellen“ bedeutet) ein Satellitenfoto an die Wand gehängt, das die Beleuchtung Europas bei Nacht zeigt.
Die Aufnahme wurde von Hans Winkler und Stefan Micheel am Computer bearbeitet. Dabei haben die beiden Künstler sorgfältig alle leuchtenden Erscheinungen innerhalb der deutschen Grenze mittels Pixelmagie ausgelöscht. Virtuell steht also Deutschland stromlos da – fast bodenlos sogar: Seine Fläche ist nur durch Dunkelheit erkennbar und von der Fläche der Meere nicht zu unterscheiden.
Das schön wirkende Bild dient als Illustration für das „Mahnmalkonzept zum Denkmal für die ermorderten Juden Europas“, das sich p.t.t. red 1999 ausgedacht hat. Ausgehend von der Tradition der Schweigeminute, schlagen Winkler und Micheel vor, eine einzige Minute im Jahr eine Stromabschaltung für ganz Deutschland zum Gedenken der Holocaust-Opfer zu bewirken. Die offensichtliche Unmöglichkeit einer solchen Aktion ähnelt nicht nur der so genannten unmöglichen „Bewältigung“ von Vergangenheit. Sie setzt auch dem Willen zum „Mehr“ – der die Denkmaldebatte hierzulande ins Absurde geführt hat – eine „konzeptionelle Fehlstelle“, so die Künstler, entgegen. Eine „less is more“-Haltung, wie sie etwa auch in den Arbeiten von Thomas Hirschhorn thematisiert wird und die in diesem Fall zweifellos eine fruchtbare ist: statt der langen Rede ein wirksamer Kurzschluss.
Solcher Eingriff in den öffentlichen Raum, mit dem Ziel, sowohl der Verwahrlosung des Begriffs Öffentlichkeit entgegenzutreten als auch eine im politischen Raum stumpf gewordene Sprache neu zu beleben, charakterisiert den künstlerischen Prozess von p.t.t. red. Dafür setzen sie sich seit über zehn Jahren mit Witz und erfinderischem Ernst ein: Als Anfang 1997 der zwanzigste Geburtstag des Deutschen Herbsts mit großem medialem Aufwand begangen wurde, ließen die Künstler in der Flughafenstadt Langenhagen im Großraum Hannover mit schwarzweißen Plakaten zu einer Veranstaltung einladen, bei der Ulrike Meinhof über ihre Verhaftung am 15. Juni 1972 in Langenhagen sprechen sollte. Die hölzerne Rednertribüne, samt Sitzen und Lautsprechern auf dem Marktplatz aufgebaut, wurde eine Stunde lang mit Scheinwerfern beleuchtet.
Jetzt steht das Arrangement in den Räumen der museumsakademie neben einem Monitor, auf dem eine Videodokumentation über die „Parlamentarische Situation“, so der Titel der Aktion, läuft. Die im Raum äußerst präsent wirkende Skulptur erinnert an „Le tribunal“ („Das Gericht“), eine Arbeit des Schweizer Künstlers Fabrice Gygi. Dieser hatte letztes Jahr in Paris ein Armeezelt mit Schreibutensilien und Sitzgelegenheiten aus rohem Holz gefüllt und damit die Funktionärssprache (auf Französisch „langue de bois“) der Justiz sehr eindringlich in Bilder übersetzt. Eindringlich ist allerdings auch die Ähnlichkeit des Gerüstes von p.t.t. red mit einem Schafott: Die Rede wird nie stattfinden, weil die Rednerin längst tot ist. Dafür aber kamen mehr als 80 BürgerInnen zum Rathausplatz, um über Terrorismus zu diskutieren.
Die reichen Assoziationsmöglichkeiten, die p.t.t. red mit ihren minimalistischen Aktionen ermöglichen, hängt mit ihrer künstlerischen Strategie zusammen. Anstelle aufwendiger Materialschlachten, wie sie sonst gern auf dem Kunstmarkt geführt werden, führen sie die Vorstellungskraft vor, die sich mit dem jeweiligen Konzept verbindet. Mit „!Silentium!“, dem dritten ausgestellten Projekt, versucht das Duo auf die (unmöglich gewordene) Wahrnehmung des städtischen Lärms und Treibens aufmerksam machen. Dafür soll der Ernst-Reuter-Platz als Verkehrsknotenpunkt weiträumig abgesperrt werden – U-Bahn und Luftfahrt inklusive. Das Projekt wurde letztes Jahr dem Senat vorgeschlagen, ist besprochen, jedoch noch nicht genehmigt (und auch nicht abgelehnt) worden. Als Modell hat die Aktion aber schon stattgefunden: In der Ausstellung wird das Bild des leeren Platzes in einem Raster von 90 Farbdrucken zusammengesetzt.
„Das Ereignis findet nicht statt“ – drei Projekte von p.t.t. red, bis 29. 7., Di. bis Sa., 14–19 Uhr, museumsakademie berlin, Rosenthaler Straße 39
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