: Der Mann mit den Koteletten
Doppelter Einsatz: Im Fernsehen spielt Jockel Tschiersch den Ermittler, auf der Kabarettbühne macht er den Kampfplauderer und Hauptstadtneurotiker. Mit seinem Programm „80 Tage nackte Panik!“ ist er zurzeit in der Bar jeder Vernunft zu sehen
von THOMAS WINKLER
Jockel Tschiersch ist ein viel beschäftigter Mann. Und wer viel beschäftigt ist, muss schnell sein. Zum Interview in ein Cafe, das sich in seinem ebenso edlen wie schlichten Stil widerspruchlos in Berlins neue Mitte fügt, kommt er auf einem silber glänzenden Roller angerollt.
Kaum ist das Fortbewegungsmittel zusammengeklappt auf dem Nebensitz verstaut, wandern die Augen unstet durch den Raum. Man kann förmlich sehen, wie hinter seiner Stirn die gerade frisch gewonnenen Eindrücke geprüft, katalogisiert und dann abgelegt werden. Irgendjemand dieser, wie er sie nennt, „Men’s-Health-Typen, dieser Business-Typen“ wird womöglich gerade in diesem Moment zu einem Bühnencharakter verarbeitet.
An manchem Abend auf der Bühne schlüpft Jockel Tschiersch, der „Kampfplauderer, Hauptstadtneurotiker, Schauspieler und Autor“ (Eigenwerbung), in bis zu 30 Rollen. Sehr hilfreich ist dabei sein Talent, was das Imitieren von Dialekten angeht. Und nötig für sein aktuelles Soloprogramm „80 Tage nackte Panik! Jockel Tschiersch liest abgelehnte Filmdrehbücher“.
Im Zentrum des Programms steht ein frustrierter Drehbuchautor, der sich erfolglos in allen Genres versucht. „Ich spiele mich da eigentlich selbst“, gibt Tschiersch zu, „allerdings als überhöhte Kunstfigur.“ Auch die Ideen für die abgelehnten Drehbücher des Bühnenprogramms stammen zum Teil aus echten Drehbüchern, von ihm selbst oder von Freunden. Und für den Rest der Personnage, für Produzent, Redakteur und die diversen Rollen aus den Drehbüchern, „gibt es natürlich immer Vorbilder“. Das grundsätzliche Prinzip seiner Arbeit: „Ich klaue gnadenlos bei der Realität. Das sind alles Räuber- und Lügengeschichten, aber irgendwie erlebt und dann weitergedreht.“ Nur ausdrücklich erkannt hat sich bislang leider noch niemand: „Wenn sich jemand ertappt fühlen würde, das wäre doch wunderbar.“ Ein Verleumdungsprozess vom richtigen Kläger, denkt er leise lächelnd nach, ließe die Kasse endlich klingeln.
Die Auftritte, die er weder als Kabarett noch als Comedy kategorisiert sehen möchte, ernähren ihn ebenso wenig wie die Schreiberei. Das Geld verdient er beim Fernsehen. Seine bekanntesten Rollen hatte er als Polizist: In den Serien „Doppelter Einsatz“ und „Rosa Roth“ spielte er jeweils den Sidekick des Hauptermittlers. Und wer genau hinsieht, kann den Mann mit den gewaltigen Koteletten in diversen Nebenrollen entdecken: „Mit dem Fernsehen finanziere ich halt den ganzen Rest.“ Der Rest sind die eigenen Drehbücher und Filmprojekte, die Bühnentätigkeit, aber auch die Hauptrollen in den kleineren Filmen, von denen man nicht reich wird. „Es ist ein irrsinniges Privileg, mit etwas Geld verdienen zu dürfen, das einem Spaß macht.“
Dieser Luxus funktioniert aber auch erst seit kurzem, seit die Angebote vom Fernsehen in ausreichendem Maße kommen. „Es ist dann wieder auch kein Luxus“, sagt er, „denn man merkt es natürlich auch am Konto, wenn man nur die Dinge tut, die man für wichtig hält. Man braucht einen langen Atem.“ Im TV, darauf legt er Wert, „mache ich nicht jeden Quatsch“.
Seine Liebe aber, das spürt man, die gehört der Bühne. „Einer stellt sich hin und erzählt eine Schote. Das funktioniert immer, das ist das älteste Gewerbe der Welt.“ Dieses Gewerbe betrieb er dereinst in München, wohin er sich aus dem Allgäu abgesetzt hatte, obwohl er eigentlich die Schreinerei des Vaters hätte übernehmen sollen. In der bayerischen Landeshauptstadt bildete er mit dem fernsehbekannten Schwergewicht Ottfried Fischer über Jahre ein erfolgreiches Duo.
Seit 13 Jahren lebt er nun in Berlin, wo er anfangs mit der Comedy-Truppe „Die Bastarde“ auftrat und seit deren Ende immer wieder neue Soloprogramme auflegt, die er als „zeitkritisches Einmanntheater“ bezeichnet, „wenn ich sie denn unbedingt kategorisieren muss“. Früher hat er wie so viele andere die Stimmen von Kohl, Waigel, Möllemann und Merkel imitiert. Inzwischen ist er 42 Jahre alt, und im aktuellen Programm taucht außer Kanzler Schröder, der zusammen mit Verona Feldbusch und VW-Manager López einen Flugzeugabsturz überlebt und über Kartoffelsalat diskutiert, nur noch ein Volksvertreter auf.
Trotzdem findet er auch „80 Tage nackte Panik“ politisch: „Das hat eine soziale Relevanz. Es ist meine Form, einen politischen Kommentar abzugeben.“ Zu Hause warten derweil zwei Theaterstücke auf Überarbeitung, ein Roman auf Fertigstellung, ein paar Drehbücher aufs Gelesenwerden – und nicht zuletzt eine siebenjährige Tochter, die Papa ihre letzten theatralischen Fortschritte vorführen will.
Als wenn das alles nicht reichen würde, fährt er Motocross, Ski und mit dem Kajak durchs Wildwasser. Eine Pilotenlizenz hat er auch: „Ich könnte nicht einfach nur warten, bis eine neue Rolle reinkommt.“ Sagt’s und klappt den Roller auf. Am Hackeschen Markt vorbei, durch eine Gruppe Touristen hindurch geht es auf Rollen zur S-Bahn. In zehn Minuten hat er in Wedding den nächsten Termin.
Montag, 20.30 Uhr, Bar jederVernunft, Schaperstraße 24
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