Auf Du und Du mit dem „Weser-Report“: Being Axel Schuller
■ Wenn der Chef seinen Chef interviewt
Und jetzt, nach dem Frühstück, machen wir eine gemeinsame Übung: Stehen Sie auf, gehen Sie zum Fenster, öffnen Sie es und rufen ganz laut hinaus in den Himmel über Bremen: „Anzeigenblatt!“ Und jetzt noch mal und etwas länger: „Der ,Weser-Report' ist ein Anzeigenblatt!“ Wenn Ihnen jetzt Tassen um die Ohren fliegen, dann heißt Ihr Nachbar Axel Schuller.
Schuller ist nämlich Chefredakteur des zweimal wöchentlich erscheinenden „Weser-Report“ (WR), und er ärgert sich darüber, wenn man seine Zeitung Anzeigenblatt nennt. Vor eineinhalb Jahren hat der WR-Herausgeber, Konzertveranstalter und Ticketverkäufer Klaus-Peter Schulenberg (kurz KPS) den Journalisten vom „Weser-Kurier“ abgeworben, wo er Ressortleiter für den Bereich Lokales war. Als klugen Schachzug bezeichneten BranchenkennerInnen diese Abwerbung. Denn der „Weser-Report“ wurde einfach sein Schmuddelimage nicht los. Begleitet durch eine Werbekampagne und drastische Veränderungen im Layout, versuchen Schuller und seine Redaktion der Gratis-Zeitung seither einen seriösen Anstrich zu verleihen. Zwar fragt man sich manchmal, ob's nicht alles ein bisschen zu seriös geworden ist. Und nicht wenige sehnen sich nach Martin Globischs Satzungetümen zurück. Doch den Charakter eines Anzeigenblatts hat der „Weser-Report“ beinahe verloren. Bis die Ausgabe vom letzten Sonntag fast alles wieder zunichte machte. Denn da hat Schuller seinen Chef interviewt.
Unter der Überschrift „Weitere Einkäufe sind geplant“ gab Schulenberg seinem Angestellten bereitwillig Auskunft über seine Pläne mit der Konzert- und Sportkarten-Vertriebsfirma „CTS Eventim AG“. Sein Unternehmen soll wachsen, erfahren die LeserInnen. Allein welcher Unternehmer will das nicht? Entscheidender ist, was die anderen denken. AktienkäuferInnen zum Beispiel. „Wir haben den Kurs fast bis 30 Euro entwickeln können. Aber wir wachsen langsam und organisch im Wert. Und das ist gut so“, sagt Schulenberg zu Schuller. Tatsächlich ist „CTS Eventim“ nach einigem Auf und Ab heute mit 25 Euro wieder genauso hoch oder niedrig notiert wie beim Gang an die Börse Anfang Februar. Das ging der Telekom zwar genauso. Aber insgesamt legte der Neue Markt, an dem auch CTS notiert ist, seit Jahresbeginn um rund 25 Prozent zu.
Hätte Schuller an dieser Stelle nachgehakt, wenn er noch beim Weser-Kurier wäre? Hätte er dann auch Nachfragen zum umstrittenen KPS-Neubau an der Contrescarpe gestellt? Egal. Denn Schuller ist ja jetzt bei einem Anzeigenblatt. ck
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