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Geld leihen für Banken teurer

Die Zinsen könnten steigen, weil die Europäische Zentralbank ihr Geld seit gestern mit einem veränderten Verfahren an die Privatbanken ausleiht. Auch Geldhändler Georg-Heinrich Sieveking bewegt zig Millionen nun auf eine neue Art

BERLIN taz ■ Jeden Morgen um kurz nach acht steigt Georg-Heinrich Sieveking in den Fahrstuhl der Tiefgarage unter dem Berliner Alexanderplatz. Meistens hält der Aufzug im Erdgeschoss vor dem Eingang einer Filiale der Sparkasse. Vor 25 Jahren wäre der gelernte Bankkaufmann vielleicht ausgestiegen, hätte seinen Dienst hinter dem Schalter angetreten. Doch jetzt fährt er weiter, in den ersten Stock. Dort hat die Berliner Bankgesellschaft ihre Räume.

Wenn unten in der Sparkasse die ersten Kunden Geld aus dem Automaten ziehen oder sich über Kredite beraten lassen, sitzt Sieveking längst oben an seinem Schreibtisch. Und ist dafür zuständig, dass den zur Bankgesellschaft gehörenden Banken – wie die Sparkasse ein Stockwerk tiefer – das Geld nicht ausgeht. Sieveking koordiniert den Geldhandel seines Konzerns.

Der Endvierziger, rote Krawatte mit kleinen blauen Blümchen, ein Zocker? Nein. „Ich sichere die Liquidität der Bankgesellschaft“, beschreibt der Banker seinen Job. „Ich liste alle Zahlungsein- und -ausgänge auf. Dadurch sehe ich, wie viel Geld die Banken benötigen.“

Wenn eine Bank über zu wenig Geld verfügt, dann geht der gebürtige Flensburger „auf den Markt“ und leiht dort Geld von einer anderen Bank. Und umgekehrt. „Ich verlasse mein Büro dabei nicht“, sagt er. „Die Geschäfte laufen entweder per Telefon oder über ein Dealing System – das ist eine Art Fax.“ Der Zinssatz, zu dem am Geldmarkt ausgeliehen wird, errechnet sich täglich neu aus Angebot und Nachfrage.

Zusätzlich kann Sieveking am Tenderverfahren der Europäischen Zentralbank (EZB) teilnehmen. Love me tender? Mitnichten. Hinter dem Wort „Tender“ stecken in diesem Fall zwei Töpfe mit jeweils rund 75 Milliarden Euro. Dort können die Banken alle zwei Wochen Geld leihen. Als Sicherheit müssen sie bei der EZB in Frankfurt Wertpapiere hinterlegen. Der Zins für diese so genannten Repo-Geschäfte von zwei Wochen Laufzeit ist der Leitzins, den die EZB festlegt. Derzeit liegt er bei 4,25 Prozent.

Gestern war für Sieveking, der seit 26 Jahren im Geschäft ist, ein besonderer Tag: Die EZB änderte die Spielregeln für die Zweiwochen-Deals. Statt des „Mengentender“-Verfahrens gilt von jetzt an der „Zinstender“. Will heißen: Bislang hat die Zentralbank den Zinssatz bestimmt, und die Händler der Banken gaben Gebote über die Menge ab, die sie zu diesem Zins ausleihen wollten.

Von jetzt an läuft das umgekehrt: Die EZB legt die Geldmenge im Topf fest, die Händler schreiben den Zins, den sie zu zahlen bereit sind, auf ihre Gebote. Als Mindestzinssatz gelten auch hier die 4,25 Prozent. Die Zentralbank teilt dann den Banken das Geld aus dem Topf zu, wobei sie nach der Höhe der gebotenen Zinsen vorgeht: Wer einen höheren Satz bietet, kommt eher zum Zuge. Gestern beispielsweise wurden alle Gebote ab einem Satz von 4,29 Prozent berücksichtigt. Der höchste Zins, den eine Bank bot, lag bei 4,65 Prozent, der Durchschnitt bei 4,32 Prozent.

Der Vorteil des neuen Verfahrens: Die Geldhändler der Banken ordern von vornherein nur die Geldmenge, die sie benötigen. In letzter Zeit hatten die Banker regelmäßig mehr Geld verlangt, als die EZB ihnen zuteilen wollte – der Preis für das Geld stand schließlich fest: Zuletzt orderten sie stolze achteinalb Billionen Euro – das Hundertfache der letzlich zugeteilten Menge. Der Nachteil: Manche Geldhändler fürchten eine indirekte Zinserhöhung, weil die gebotenen Zinsen höher liegen als die von der EZB anvisierten 4,25 Prozent.

Der 48-jährige Sieveking, dessen Visitenkarte ihn als geschäftsführenden Direktor ausweist, ist auf dem Sprung in die Schweiz. Geschäfte. „Das Hektische fasziniert mich“, sagt er. „Kein Tag ist wie der andere.“ Wissen die Menschen da unten vor der Sparkasse, dass er und 30 Mitarbeiter hier oben dafür sorgen, dass der Geldautomat Geld auswirft? Sieveking steht auf und tritt ans Fenster: „Wir haben ja nicht mit Frau Meier von nebenan zu tun, sondern mit anderen Banken. Nein, der Kunde da unten merkt davon nichts.“

KATHARINA KOUFEN

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