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Kann man Genomsequenzen erfinden?

EU- und US-Patentrecht unterscheiden sich in wichtigen Punkten: Die Europäer sind strenger bei der Frage „Entdeckung oder Erfindung?“ Wer weltweit mit Genpatentierung Geld verdienen will, muss beide Rechtsordnungen beachten

FREIBURG taz ■ „Die mögliche Patentierung von Genomsequenzen sollte man nicht überbewerten“, sagt Professor Joseph Straus vom Münchener Max-Planck-Institut für internationales Patentrecht. „Ein Patent gilt ja nur 20 Jahre und es spricht viel dafür, dass entscheidende Durchbrüche zu einer so genannten neuen Medizin erst viel später – wenn überhaupt – erfolgen.“ Ähnlich sei es etwa mit den Laserstrahlen gewesen, deren Nutzung schon in den Fünfzigerjahren patentiert wurde: Viele Anwendungsmöglichkeiten erkannte man erst Jahrzehnte später.

Dennoch haben sowohl das öffentlich geförderte Human-Genom-Projekt (HGP) als auch die Privatfirma Celera des US-Biologen Craig Venter eine Vielzahl von Patenten angemeldet, über die aber noch nicht abschließend entschieden ist. Allein Celera soll die Patentierung von rund 6.500 Gensequenzen oder Sequenzteilen beantragt haben. Während in der Öffentlichkeit vor allem darüber diskutiert wird, ob eine solche „Patentierung des menschlichen Lebens“ zulässig ist, steht in Fachkreisen die Frage im Mittelpunkt, ob hier überhaupt patentierbare Erfindungen vorliegen.

„Eine Entdeckung bereichert das menschliche Wissen, eine Erfindung das menschliche Können“, gibt der Göttinger Jurist Andreas Fuchs als Faustregel aus. Wenn neue Substanzen als Erfindung zum Patent angemeldet werden, muss also zumindest ein potenzieller Nutzen des neuen Wissens benannt werden. Die konkreten Anforderungen an diese Beschreibung sind allerdings weltweit nicht einheitlich geregelt. Die EU-Richtlinie zum Schutz biotechnischer Erfindungen ist hier besonders streng. Die Sequenz eines Gens kann nur dann patentiert werden, wenn klar ist, „welche Funktion sie hat“. In den USA ist das einfacher: Hier genügte bislang schon eine vage Andeutung.

Doch der Wettlauf, die menschlichen Erbinformationen zu entschlüsseln, hat auch in den Staaten ein Umdenken ausgelöst. Die Vorstellung, dass Craig Venter im Lehnstuhl sitzt, während seine Sequenziercomputer eine „Erfindung“ nach der anderen für ihn produzieren, hat jetzt zu einer Verschärfung der US-Patentierungsrichtlinien geführt. Wie viele von Venters Patentanmeldungen am Ende tatsächlich anerkannt werden, kann heute noch niemand abschätzen. „Entscheidend ist letztlich die Auslegung durch die Gerichte“, gibt Straus zu bedenken, „Patentrecht ist immer im Fluss.“

Kompliziert ist die Situation für Venter und Co. auch deshalb, weil mehrere Rechtsordnungen gleichzeitig zu beachten sind. Ein US-Patent ist zwar wichtig, bietet aber nur auf dem amerikanischen Markt Schutz. Die strengeren europäischen Regeln müssen also durchaus ernst genommen werden, will man auch hier einmal Geld mit Lizenzeinnahmen verdienen.

Beim Europäischen Patentamt in München können Patente für 19 Staaten beantragt werden. Dort muss auch geprüft werden, ob solche „Patente auf Leben“ gegen die „guten Sitten“ oder die „öffentliche Ordnung“ verstoßen. Auch dies ist eine europäische Besonderheit, für die es im US-Recht keine Entsprechung gibt. „Anti-Personen-Minen wären heute zum Beispiel nicht mehr patentierbar“, erklärt Rainer Osterwalder, Sprecher des Europäischen Patentamtes, unter Verweis auf internationale Verträge.

Ob Genpatente gegen die guten Sitten verstoßen, ist allerdings zweifelhaft. Die Biotechnologierichtlinie nennt zwar einige Beispiele für sittenwidrige Patente (wie Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der menschlichen Keimbahn). Die bloße Patentierung von Gensequenzen ist hier aber gerade nicht aufgeführt.

Überlagert wird diese moralische Grundsatzfrage inzwischen von dem eher technikbejahenden Vorwurf, ein Patent blockiere den wissenschaftlichen Fortschritt. Andreas Fuchs glaubt aber, dass es genügend Vorkehrungen gegen unproduktive Monopole gibt: „Im öffentlichen Interesse können Zwangslizenzen erzwungen werden, und die Nutzung von Patenten zu Forschungszwecken ist kostenlos.“ Außerdem: 20 Jahre sind schneller vorbei als man denkt.

CHRISTIAN RATH

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