: Welttheater im iranischen Kaff
■ Neu im Kino: „Der Wind wird uns tragen“ von Abbas Kiarostami
Ein Drama über das Warten ist absurd. Das weiß jedes Schulkind seit Beckett. Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami hat nun mit seinem neuen Film eine Art von „Warten auf den Tod“ inszeniert, und die dabei zwangsläufig entstehenden Leerstellen so mit Leben gefüllt, dass man zwar kaum eindeutig sagen kann, wovon „Der Wind wird uns tragen“ überhaupt handelt. Dafür spürt man aber, dass man großes, präzises und poetisches Welttheater aus dem kurdischen Hinterland miterleben darf.
Ein Fotograf aus dem fernen Teheran kommt mit seiner Crew in ein abgelegenes Dorf, um dort eine traditionelle, nur noch selten praktizierte Trauerzeremonie aufs Bild zu bannen. Doch die uralte kranke Frau will nicht sterben, und wir sehen knapp zwei Stunden lang dem Großstadtmenschen beim Warten in einem Kaff zu. Kiarostami lässt sich dabei scheinbar alle Zeit der Welt.
Oft scheint der Film in Echtzeit gedreht zu sein, man weiß auch bei vielen Szenen nicht genau, was uns Kiarostami eigentlich zeigen will. Aber gerade durch diesen nur scheinbar zufälligen Blick führt er uns sehr nah heran an dieses Dorf, einige seiner Bewohner und den bis zum Schluss namenlosen Fotografen, der sich als absurder Held entpuppt. Jedesmal wenn sein Handy klingelt, muss er wieder zu seinem Auto rasen und mit ihm den Hügel hinauffahren, weil nur dort oben der Empfang gut genug ist.
Schöner als mit diesem „Running gag“ ist die Handy-Manie im Kino bisher noch nicht auf den komischen Punkt gebracht worden. Und so, wie Kiarostami hier in einem Kaff die moderne Telekommunikation belächelt, so erzählt er in „Der Wind wird uns tragen“ auch ganz unangestrengt von den großen menschlichen Themen wie Freundschaft, Schuld, Leben und Tod. Seine Methode lässt sich noch am ehesten mit der von Eric Rohmer vergleichen. Wie sein französischer Wahlverwandter dreht auch Kiarostami „Quasselfilme“ mit Dialogen, die wie improvisiert wirken. Nur sind seine Iraner meist viel einsilbiger als Rohmers schöne junge Französinnen. Dafür ruht die Kamera bei ihm länger auf den Gesichtern, aber oft ist die Kameraperspektive auch so, dass sie uns ganz bewusst etwas nicht zeigt.
Die drei Kollegen des Fotografen, die kranke Greisin, ein Mann, der auf einem Friedhof eine tiefe Grube gräbt und mit dem der Fotograf sich anfreundet – all diese wichtigen Filmfiguren zeigt uns Kiarostami nie. Zum einen macht er dadurch seinen Film noch rätselhafter, zum anderen scheint er aber auch das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“ zu problematisieren, das im Koran viel wichtiger ist als in der Bibel.
Auch der Fotograf macht sich mit seiner Arbeit schuldig: Wie ein Geier lauert er darauf, dass die alte Frau endlich stirbt. Und er verliert schließlich den einzigen wirklichen Freund, den er im Dorf hat, einen kleinen Jungen, als er ihn anherrscht, er solle sich erst wieder bei ihm sehen lassen, wenn er die „guten Nachrichten“ vom Tod der Alten hat. Dieser Junge ist der zweite Hauptdarsteller. Der Laie, der ihn spielt, stiehlt dem einzigen professionellen Schauspieler des Films Behzad Siah Dareh regelmäßig die Show. Kiarostami ist berühmt dafür, wie gut er Kinder und Laiendarsteller führen kann, und auch in seinem neuen Film fängt er sie so intensiv und wahrhaftig ein, dass man langsam mit dem Fotografen im Dorf heimisch wird.
Auch für ihn ist schließlich das Warten nicht vergebens. Ihm und uns Zuschauern gönnt Kiarostami schließlich einen fast mystischen Moment der Erlösung.
Wilfried Hippen
tgl. um 19 Uhr im Cinema, OmU
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