piwik no script img

E-Mail für global Oleg

200 Meter über der Ost-West-Drehscheibe: Oleg Kostrow, einer der bekanntesten russischen DJs, bedient sich für seine Platten überall zwischen Rachmaninoff, Sowjet-Filmen und Disneys Cinderella

von CHRISTOPH BRAUN

Etwas übernächtigt kommt Oleg Kostrow am Fuß des Berliner Fernsehturms an. Er ist guter Dinge, gestern Abend wurde seine neue LP „The Snow Queen“ im Kaffee Burger vorgestellt. Das Literaturwohnzimmer in Mitte war für einen Montagabend gut gefüllt, und überhaupt scheint Kostrow zu denen zu gehören, die ständig guter Dinge sind.

Vielleicht freut er sich ja, vom Fernsehturm aus mal das ganze Land um Berlin herum zu sehen. Gar nicht weit von hier ist er schließlich aufgewachsen. In Magdeburg hat er gelebt, bis er 17 Jahre alt war. Sein Vater war sowjetischer Soldat, der kleine Oleg ging zur sowjetischen Schule und durfte das sowjetische Viertel nicht verlassen. „Deshalb spreche ich leider kein Deutsch“, erzählt der mittlerweile Dreißigjährige in gebrochenem Englisch. Wir kreisen im Turm-Restaurant in ungefähr 200 Metern Höhe über der Ost-West-Drehscheibe Berlin, als wären wir selbst ein Kostrow-Track.

Mit 17 ging es zurück nach Moskau, wo er sich mit den Jahren in die oberste russische DJ-Liga spielte. Heute lebt er in St. Petersburg und erhält wie nur wenige Plattenmixer seines Landes von einem Club das Geld, jede Woche nach Moskau zu jetten, um dort ein paar Stündchen aufzulegen. Diese prominente Position in der russischen Ausgehgesellschaft hat er sich vor allem im Radio als Reporter, DJ und Techniker erarbeitet. Zu Zeiten der UdSSR beim regimekritischen Echo Moskau. Nach dem Umbruch bekam er dann eine eigene Sendung bei 106.8 Moskau. „Sie hieß ‚100 % easy‘ “, erzählt Kostrow, „denn ich mag es halt entspannt.“ Längst hat ihn sein Weg bis nach London geführt. Dort wurde seine aktuelle Platte „Snow Queen“ Ende 1999 als Performance in der Royal Festival Hall aufgeführt. Die Kostüme wurden von Andrey Bartenew entworfen, mit dem Kostrow vorher auch schon für das Kindertheaterstück „Iwona“ zusammengearbeitet hatte.

Als im letzten Jahr „The Great Flashing Tracks from Iwona“ veröffentlicht wurden, war selbst der Rockisten-Clan vom Musikexpress baff und fühlte sich an die märchenhaften Songs der NdW-Legende Der Plan erinnert: „Ein zauberhaftes Album.“ Hatte sich Kostrow für die luftigen Sample-Collagen auf „Iwona“ noch bei Sowjetfilmen der Sechziger bedient, geht es nun mit „Snow Queen“ auf in neue musikalische Welten. „Die Royal Festival Hall verlangte von mir, klassische Kompositionen zu benutzen. Also bediente ich mich bei Rachmaninow und Prokofjew, aber auch Disneys Cinderella.“

In Verbindung mit Kostrows populären Beats von Swing bis Break klingt das dann wie ein moderner Soundtrack für die guten alten tschechoslowakischen Kinderfilme. Derart zitathafte Musik ist nach Kostrows Aussage typisch für den Sound, der zur Zeit in Moskauer Clubs läuft: „In St. Petersburg ist Techno ganz groß. Aber in Moskau ist relaxtere Musik angesagt: TripHop, HipHop, Acid Jazz.“

Trotzdem kann Kostrow gerade mal so von seiner Musik leben, vor allem von den DJ-Jobs. Seine Platten und die von Messer für Frau Müller, deren eine Hälfte Kostrow stellt, werden veröffentlicht von Storage Records. Der feste Kern des Labels sitzt im Hamburger Umland in einem alten Bauernhof. Und kann übers Internet die Welt bedienen. Oleg Kostrow zum Beispiel setzt ein Drittel seiner verkauften Platten in Japan ab, in Portugal läuft’s auch sehr gut. Die 1.000er-Auflage von „Iwona“ ist jedenfalls schon mal weg. Eine japanische Lobesmail kam vom Elektronik-Wizard Cornelius. Das passt, ist doch Kostrow für Russland das, was Cornelius für Japan ist: Ein Sampledeliker mit globalkollektivem Bewusstsein und viel Humor zwischen smart und angenehm albern.

Oleg Kostrow: „Snow Queen“ (Storage / A-Musik / Hausmusik)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen