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Krise am Buntentor

■ Immer mehr Geschäfte schließen / Neuer Stadtteilmanager soll Abwanderung bremsen

Läuft im Buntentorsteinweg etwas schief? „Nein“, sagt Ortsamtsleiter Klaus-Peter-Fischer. „Ja“, sagt Jürgen Maly, Vorsitzender vom SPD-Ortsverein Buntentor. „Es hat sich ungünstig entwickelt“, sagt Mathias Kayser, Inhaber vom Modehaus Brüggemann.

Das Schreibwarengeschäft Karstens, seit 83 Jahren im Haus Nummer 49, hat seit gestern geschlossen. „Ich kauf' bei dir ein, du kaufst bei mir ein“ sei früher die Devise gewesen, erzählt Marie-Louise Luther, geborene Karstens. Früher. Früher war das 50er-Jahre Holzdesign „der letzte Schrei“, die leeren Regale, in denen jetzt noch einzelne „Leuchterkerzen 1,90 jetzt 1,-“, Parker-Patronen in pink und rosé neben verwaisten Quittungsblöcken liegen. Marie-Louise Karstens wurde in diesem Laden mit seinem Neonlicht, dem rotbraunen Linoleum, der „Bild“-Uhr und den Teddy-Klebebildchen getauft. Ist hier groß geworden. Wohnt überm Laden. Nun will die 58-Jährige „in privat“ machen. Einen Nachfolger hat die Nachfolgerin von Mutter und Großmutter nicht gefunden. Viele Kunden sind „alt, im Heim oder tot.“ Also hat sie beschlossen zu schließen. Wie viele vor ihr.

Geht der Einzelhandel am Buntentor ein? „Die Gefahr besteht“, bestätigt der Ortsamtsleiter. Ein Quartiersmanager soll kommen, wünscht sich Fischer, der zwischen Geschäften, Politik und Anderen vermittelt und „im Vorfeld reagieren kann, bevor es anfängt zu quietschen.“ Ansonsten aber, findet Fischer, habe der Buntentorsteinweg „die Nase vorn“.

Bedrohlich findet die Situation hingegen Hans-Hermann Hägermann vom Wirtschaftsinteressenring der Neustädter Geschäfte. Einige Firmen, die gut laufen, täuschten über die allgemein schlechte Lage hinweg. „Entscheidend ist, dass nicht noch mehr wegbricht.“ Es reiche nicht, wenn „ausländische Mitbürger mit Obst und Gemüse“ nachrückten. Der Stadtteilmanager wäre gut, aber: „Die Situation müsste von oberster Stelle erkannt werden.“

Werde sie aber nicht, erklärt SPD-Mann Maly. „Es fehlt die Strukturpolitik, die dafür sorgt, dass diese kleinen Läden einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Einkaufszentren haben.“ Der Branchenmix gehe kaputt, „der Buntentorsteinweg bricht weg.“

So äußern sich auch die Geschäftsleute. „Wir sind auf überregionale Kundschaft angewiesen“, so Mathias Kayser. Der urbane Charakter, beobachtet er, gehe verloren, der tägliche Bedarf sei hier kaum noch zu decken. Und Harmut Drexhage vom gleichnamigen Reformhaus ist vor allem sauer auf die Ignoranz der Politik. „In der Innenstadt wird geklotzt, hier wird gekleckert.“ Was „wir kleinen Krauter“ machen, interessiere nicht. Und Frau Luther, geborene Karstens? Die fährt jetzt öfter nach Berlin zu ihrem Sohn. Dort wäre sie gern ins Kaffee Kranzler gegangen. „Aber das gibt's auch nicht mehr.“

sgi

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