Wovor fürchtet sich der gute Deutsche?: Das Ungeheure im Ungeheuer
betr.: „Ein Hund nur für Memmen“ u. a., taz vom 29. 6. 00 ff
Ein verhaltensgestörter Hund beißt zu, ein Kind stirbt tragisch und sinnlos, und Deutschland ist in Aufruhr. Bild fordert: „Tötet diese Bestien!“, und auch die taz hat einen Fachmann für Minderwertiges: „Die Hunde dienen als Verlängerung des Selbst. Ich kann mein eigenes Minderwertigkeitsgefühl, vielleicht meine eigene miserable soziale Lage dadurch kompensieren, dass ich mir einen Kampfhund zulege“: So viel Tiefsinn müsste eigentlich mit einem Maulkorb belohnt werden.
Wieso muss die Krankheit zur Bürgerlichkeit so an der Oberfläche verteidigt werden? Haben wir keine alternativen Visionen mehr? Ist das „Ungeheure in der Kultur“ wirklich der zum Killer abgerichtete Hund? Wovor fürchtet sich der gute Deutsche, dass er am liebsten alle Kampfhunde einschläfern lassen wollte? Er fürchtet um seine bürgerliche Sauberkeit, denn seine Selbstverständlichkeiten gelten in den sozialen Brennpunkten der Republik nicht mehr: Können diese „Outcasts“ sich nicht einfach ruhig verhalten, wenn sie schon nicht an unserer heilen Welt teilhaben wollen?
Am liebsten würden wir nicht die Hunde, sondern die Hundehalter einschläfern! Weg mit dem sozialen Abschaum! So wird der Hund zur lebendigen Anmahnung der sozialen Außenseiter: Wir sind noch da! und wir sind Herrscher über Leben und Tod. Das macht Angst. Was soll’s, dass dies nur teilweise zutrifft. Unfälle gibt es immer. Das Ungeheuer ist aber nur deshalb das Ungeheure, weil wir alltäglich verdrängen müssen, dass auch unsere weiche Wohnzimmerbürgerlichkeit ihre Opfer fordert. Und insofern ist der Auto-Vergleich treffend: Auf unseren Straßen finden jährlich tausende Kinder den Tod, wohlgemerkt mit Zulassung, TÜV und Führerschein, sowie meist streng nach der Straßenverkehrsordnung. Und tote Autos kann man ja auch nicht einschläfern.
Wenn wir weiter fortfahren, weite Teile unserer Städte als soziale Brennpunkte aufzugeben, wenn wir weiterhin so viele MitbürgerInnen einschließlich ihrer Kinder aus dem sozialen und ökonomischen Leben ausschließen, dann wird es weiterhin zu solch schrecklichen Ereignissen kommen. Es braucht dagegen große Anstrengungen, auch finanziell, zur Integration aller, also auch problematischer Bevölkerungsgruppen in eine Gesellschaft, welche unterschiedlichen Lebensentwürfen Raum gibt. Die bestehende Bürgergesellschaft erzeugt in ihrer Behauptung der überlegenen Moral und durch ihre Ausgrenzung des Fremden und daher Ungeheuren selbst die beklagten Opfer.
JOST GUIDO FREESE, Düsseldorf
Warum kommt eigentlich niemand angesichts der hohen Zahl der Toten auf die Idee, alle Autos einzuschläfern? Weil das der Preis der Freiheit ist? TILMAN VON BRAND, Berlin
Der jüngste tragische Fall bringt mal wieder in aller Deutlichkeit zwei ungeschriebene Gesetze zu Tage: 1. Es muss immer zuerst jemand sein Leben lassen oder sich zumindest ein katastrophaler Unfall ereignen, bevor etwas getan wird. 2. Es werden in der Regel lediglich die Symptome bekämpft, anstatt die wahren Gründe zu untersuchen und Probleme gezielt an der Wurzel anzugehen.
MATTHIAS KLEIN
[...] „Kampf“hunde und deren Halter werden vom „gesunden Volksempfinden“ und Volkes Stimme niedergemacht, ohne dabei auch nur den Versuch zu machen, sich über die Hintergründe solcher – unzweifelbar schrecklicher – Vorfälle zu informieren, und in einem Land, in dem selbst die Schaf - oder Hühnerhaltung bis auf den Zentimeter genau vorgeschrieben ist, verlangt nur ein einziges Bundesland einen Sach(!)kundenachweis für Hundebesitzer.
Was mir aber weitaus gefährlicher scheint, ist die Reaktion von Land und Staat: Da werden aufgrund pöbelnder Medien innerhalb von 24 Stunden Beschlüsse gefasst und Gesetze geschaffen, die unsachlicher und zweckloser kaum sein können. Stimmgeile Politiker beeilen sich, den Massen zu Willen zu sein, die Folge sind allein in Berlin in zwei Tagen zwölf ausgesetzte Tiere, überquellende Tierheime, und endlich kann jeder Nachbar mal so richtig zuschlagen beim Diffamieren.
Wenn so etwas möglich ist, wer sagt uns denn, dass – vielleicht auch im Hinblick auf die Entschlüsselung des menschlichen Genoms – es immer bei Hunden bleibt? BRIGITTA BLUME, Eldenburg
Wenn wir schon im Zeitalter der Big-Brother-Shows und der Pitbull-Mania leben, warum nicht eine Sendung starten, in der Kampfhundfans in Wohncontainer zusammenleben. Die wöchentliche Zuschauerabstimmung wird ersetzt durch eine Horde Kampfhunde, die man durch den Containerblock jagt. Wer am Ende übrig bleibt, darf noch einmal. Das alte Rom lässt grüßen – Pitbull-Brother auch.
Diese zugegeben zynische Lösung ist mindestens so dumm wie die Untätigkeit der Politiker, die endlich eine Gesetzeslage herstellen müssen, damit die modernen Menschenopfer der Kampfhundehaltung der Vergangenheit angehört.
NORBERT MALLIK, Pfullendorf
Ich finde das Kampfhunderezept ganz toll. Vielleicht habe ich ja mal Gelegenheit, es auszuprobieren, wenn mir solch ein Monster begegnet. Aber man hätte noch schreiben sollen, dass nur junge Hunde zart sind, ältere sind wahrscheinlich ganz schön zäh. [...]
CHRISTIANE FARMER, Berlin
Euer Vorschlag zur Güte betreffend Umgang mit Kampfhunden ist zwar echt witzig, aber im Zusammenhang mit dem Anlass der aktuellen Berichterstattung, dem entsetzlichen Tod eines Sechsjährigen, auch echt geschmacklos, was sich bei Rezepten verbieten sollte. Spaß beiseite, dreimal pfui. THOMAS HANKE, Dresden
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