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Siesta in Mitte

Einen ironische Installation bietet Schlafgelegenheit im Theatersaal. Eine Stunde besinnliche Ruhe kostet 8 Mark

Nachmittags um halb zwei – der Gähnzwang wird immer größer, die Buchstaben tanzen auf dem Bildschirm wie trunkene Miniaturen und das Denken scheint unmöglich. Der Mensch ist müde. Auf derlei Bedürfnisse nimmt in deutschen Büros oder Werkstätten niemand Rücksicht. Mag der Regensburger Chronobiologe Jürgen Zulley noch so oft beteuern: „Der Mittagsschlaf ist nicht nur eine Tradition, der Biorhythmus des Menschen verlangt danach.“ Bei mitteleuropäischen Chefs gilt in der Regel immer noch: „Ein schlafender Mitarbeiter ist ein schlechter Mitarbeiter.“ Das wiederum kann der Regisseur und Performer Holger Friedrich nicht gutheißen. Um die erquickende Kraft des Schläfchens zur Mittagszeit zu demonstrieren, richtete er in den Sophiensälen in der Sophienstraße in Mitte einen Schlafsaal ein. Pflastermüde und andere Unausgeschlafene können dort, wo sonst Theater gespielt wird, in Morpheus' Arme sinken.

24 frisch bezogene Betten in jungfräulichem Weiß, freundliche, das Licht in Dämmerung verwandelnde Leinenvorhänge, die knarrenden Dielen dämpfende Teppiche und angenehme Kühle findet der Neugierige in den Sophiensälen vor. Dabei ist der müde Mensch vom Nebenschläfer durch angemessenen Abstand getrennt. Wer sich aber für die Siesta einen Bei-Schläfer mitbringt, kann auf eines der drei Bettpaare hoffen – eine trennende Ritze haben jedoch auch die doppelten Schlafstellen. Eine Saalschwester oder ein Maitre Morphé bewachen die Ruhe streng und servieren auch kühle Getränke.

Als einer der Maitres agiert Friedrich. „Ich sorge dafür, dass keiner zu laut schnarcht und niemand Hektik an diesem Ort verbreitet“, erzählt der Künstler. Mitgebracht hat er die Idee für ein Dormitorium (französisch: dormir – schlafen) von „ausgedehnten Forschungsreisen nach Übersee“. „Manche Arbeitsverträge in den USA verlangen von den Mitarbeitern gar eine Mittagsruhe, und in Japans großen Unternehmen sind Schlafsäle eine Selbstverständlichkeit.“ Aber Friedrich ist Künstler und nicht unbedingt ein rationaler Weltverbesserer. Deshalb nennt er seinen Schlafsaal auch eine „ironische Installation“. Er wünscht sich aber sehr wohl hauptstädtische Dienstleister, die an seiner Idee Gefallen finden und in Zukunft beschauliche Räume für das kleinen Nickerchen zwischendurch anbieten.

Dann könnte wahr werden, dass sich im Berlin des Jahres 2007 eine Frau und ein Mann in einem Dormitorium verabreden und die vergangenen sieben Jahre, in denen sie ohneeinander sein mussten, Revue passieren lassen. Die Geschichte dieses Paares erzählt der Regisseur Friedrich „manchmal den Gesetzen des Schlafes folgend, kurzzeitig verlöschend“ in dem zur Installation gehörenden Theaterabend „Mittagsruhe in Berlin“.

In den Sophiensälen kann bis zum 23. Juli dienstags bis sonntags zwischen 12 und 17 Uhr geschlafen werden. Eine Stunde besinnliche Ruhe kostet 8 Mark, wer länger schläft, muss nachlösen . . . CLAUDIA PIETSCH (ADN)

Vorbestellung Schlafsaal: Tel.: 30 87 22 31, Vorbestellung Theaterabend: Tel.: 2 83 52 66

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