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„Wir sind nicht nur eine verschiebbare Masse in Grün“

Ein Beamter aus einer geschlossenen Einheit der Polizei erhofft sich durch offenere Gespräche mehr Verständnis für die Arbeit der Polizei. So könne die Polizei ihr Image als Prügeltruppe abbauen. Er hofft auf den wachsenden Druck von jungen, aufstrebenden Polizeiführern. Bis dahin müssen Interviews noch anonym gegeben werden

taz: Sie sind seit vielen Jahren bei der Polizei und gehören den geschlossenen Einheiten an. Warum wollen Sie anonym bleiben?

Polizeibeamter: Die Öffentlichkeitsarbeit bei der Polizei ist noch nicht soweit, dass sich jeder Polizeibeamte gegenüber der Presse äußern kann. Es gibt die Anweisung, dass dies nur über die Pressestelle zu geschehen hat.

Existiert bei der Polizeibasis das Bedürfnis, offener und freier mit den Medien umzugehen?

Sehr massiv sogar. Man hat nichts zu verbergen. Die Beamten sind nicht nur eine verschiebbare Masse in Grün sondern auch Individuen mit Meinungen und Empfindungen. Von einer größeren Öffentlichkeit erhofft man sich mehr Verständnis der Bevölkerung für die Arbeit der Polizei.

Wie fühlt man sich bei einem Großeinsatz wie am 1. Mai, wenn man weiß, gleich geht die Post ab?

Man ist angespannt. Die Gedanken rotieren. Man versucht noch einmal abzuklären, dass man Rückendeckung hat. Nach gefährlichen Einsätzen kann es eine ganze Weile dauern, bevor man innerlich zur Ruhe kommt. Mitunter kommen die wackeligen Knie erst hinterher.

Hat sich die Qualität der Krawalle verändert?

Ich war dieses Jahr sehr überrascht über die Klientel, die uns am 1. Mai gegenüberstand. Vom Aussehen her hätte ich den Leuten nicht zugetraut, dass sie Steine und Flaschen werfen.

Vor einigen Jahren konnte man noch fest mit schwarz gekleideten Vermummten rechnen, die irgendwo eine politische Haltung haben. Das scheinen jetzt wirklich Spaß-Krawallmacher zu sein. Das waren genau die erlebnisorientierten Jugendlichen, die die Polizei mit dem AHA-Konzept ansprechen wollte.

Wie geht man mit den nach Großeinsätzen bei Demonstrationen wiederkehrenden Vorwürfen von Teilen der Presse und Politikern um, die Polizei habe das Geschehen eskaliert?

Wenn die taz schlecht über die Polizei geschrieben hat, bedeutete das für uns lange Zeit, dass wir gut waren. Inzwischen scheint man auf dieser Seite aber etwas objektiver geworden zu sein.

Interessanter als die Presse ist für uns aber die Kritik aus den eigenen Reihen. Insbesondere die von gewissen Vorgesetzten, die noch nie im Einsatzanzug in einer brenzligen Situation waren und die meinen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Wegen ihres besonders harten Vorgehens bei Einsätzen im Bundesgebiet sind die Berliner Einheiten auch schon des öfteren von anderen Länderpolizeien kritisiert worden.

Die Berliner Polizei schreitet bei Straftaten nach dem Legalitätsprinzip konsequent ein. In anderen Bundesländern sieht die Polizeiführung dies offenbar anders. Aber man bedient sich sehr gern der Berliner, insbesondere an den Brennpunkten. Egal ob es Ahaus oder Gorleben war: Die Berliner werden gezielt an der Spitze eingesetzt. Man weiß, dass die Berliner den Einsatz durchkriegen und man sich die eigenen Finger nicht schmutzig machen muss. Mit dem Ruf müssen wir leben.

Bei dem Gegenüber der Demonstranten hat das dazu geführt, dass von vornherein von Straftaten abgesehen wird, wenn die Berliner Polizei in der Nähe ist. Das schafft auch eine gewisse Deeskalation.

An dem Corpsgeist der geschlossenen Einheiten ist schon so mancher Richter verzweifelt.

Es gibt sicherlich einen gewissen Zusammenhalt. Wir versuchen allerdings den Corpsgeist nicht aufblühen zu lassen. Das bedeutet eine regelmäßige Personalfluktuation, damit wir nicht so eine eingeschworene Gemeinschaft werden.

Wie geht man im Kollegenkreis mit Straftaten der eigenen Leute um? Es soll Beamte geben, die sich um einen Einsatz am 1. Mai regelrecht reißen, weil sie an diesem Tag mal richtig Dampf ablassen können.

Ich kenne niemanden, der sich darum reißt. Am 1. Mai gibt es Dienstfreisperren und die Kollegen verzichten auch schon mal auf den Urlaub, weil man weiß, dass man an diesem Tag wirklich gebraucht wird.

Es gibt einige Kollegen, die sehr erpicht darauf sind, Straftäter festzunehmen. Sie vertreten die Auffassung, dass das Faustrecht bestimmter Gruppen nicht durchgehen darf. Ich kenne aber niemanden, der sich die Hände reibt, Leuten eine blutige Nase hauen zu können. Schwarze Schafe gibt es immer, aber diese Mitarbeiter sind bestimmt nicht so dumm, das nach außen zu verkaufen. Ich möchte anmerken, dass in den letzten Jahren Strafanzeigen gegen Polizisten aus den eigenen Reihen erstattet worden sind.

Seit kurzem liegt der schriftliche Bericht einer Projektgruppe vor, die den AHA-Öffentlichkeitseinsatz der Polizei rund um den 1. Mai ausgewertet hat. Dem Bericht zufolge ist es nur begrenzt gelungen, den geschlossenen Einheiten das AHA-Konzept nahe zu bringen.

Die geschlossenen Einheiten kennen den Bericht nicht. Nachdem ich eben Ihr Exemplar studiert habe, muss ich aber sagen, dass ich dem Fazit nicht ganz zustimmen kann. Die Bedeutung des AHA-Konzeptes hat man bei den geschlossenen Einheiten sehr wohl erkannt.

Was die Art der Durchführung angeht, gibt es allerdings einige Kritik. Für das nächste Jahr schlage ich vor, dass man früher mit der Schulung der Einheiten beginnt, um mehr Mitarbeiter zu erreichen.

Was erhoffen sich die geschlossenen Einheiten von dem AHA-Konzept?

Dass man von dem Mythos des Prügelknaben loskommt.

Ist die von der Polizeibasis geforderte größere Transparenz unter der gegenwärtigen Polizeiführung möglich?

Die Zeit wird es mit sich bringen. Es ist ein Generationskonflikt. Der Druck wird von den jungen aufstrebenden Polizeiführern kommen, die ein anderes Verständnis von Polizei und Öffentlichkeit haben. Es gibt schon jetzt Beamte, die Interviews zum Teil sogar unter voller Namensnennung geben, ohne von oben dazu berufen worden zu sein. Bisher hat das für die Kollegen keine negativen Konsequenzen gehabt.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE

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