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Tuscheltaschen und Zuckerpisser

■ Die Hochschule für bildende Künste präsentiert bis Sonntag ihre Jahresausstellung

Eine meterhohe, aus Schaumstoff gebissene Vulva, flüsternde Handtaschen vor den Toiletten, Plastiktütendias oder wandhohe Materialansammlungen eines ganzen, jungen Künstlerlebens: In der Hochschule für bildende Künste ist zur traditionellen Jahresausstellung die Kunst entfesselt. Auch wenn von den 1350 Studenten nur etwa 300 freie Künstler sind, sind sie es, die jede Jahresausstellung dominieren.

Allerdings ist die hausinterne Konkurrenz in diesem Jahr besonders gut platziert: Da locken die großen Architekturmodelle in der Aula von Bramantes Tempietto in Rom bis zum Radioturm in Moskau aus der Designklasse des Architekten Lambert Rosenbusch oder die auf einem Flur unerwartete Reihe der Badezimmer mit Dingen, die aus einem Gastsemester mit dem italienischen Designstar Alessi hervorgingen. Bei den immerhin über 500 Architektinnen und Architekten besticht die lehrreiche Modellvielfalt der hier, anders als sonst üblich, besonders beliebten Klasse „Tragwerkskonstruktion“.

Auch Biomutationen sind ein interessantes Forschungsgebiet: So zeigt Sonja Vordermaier Miacroische Objekte, und Alexander W. Schäfers dokumentiert seine revolutionäre Entdeckung von Geistigen Teilchen. Ironie ist ohnehin das häufigste Mittel der Auseinandersetzung mit der Welt, beispielsweise die Barbiepuppen und die auf Waffeln gemalten Bildabstraktionen von Tjörg Beer in der Hiltmann-Klasse. Zuhause ist die Ironie aber in der Klasse von Prfessor Büttner, wo Francis Frank zwei Klotüren zur minimalistischen Raumskulptur aufeinandergetürmt hat, leuchtende Schöpfungsmythen gebastelt werden und dumme Hühner, freundliche Hunde und unglückliche Mädchen ihr Bild finden.

Auch scheint wieder mehr gemalt zu werden und ein Bedürfnis nach realistischer Zeichnung zu bestehen: So entstanden im Kurs des Gastdozenten Alexander Roob meterlange Zeichnungsfriese in Comictradition. Aber Dinge wie die Spiegelskulptur und die Fernglasinstallation des Koreaners Juhe Lee in der Klasse Claus Böhmler belegen andererseits, dass aus Asien wieder gute Anregungen für materialreduzierte, minimalistische Kunst kommen.

Bezaubernd verspielt geben sich das hölzerne Fahrgeschäft mit den zwei ratternden trojanischen Pferden von Markus Lohmann und der sich als ganzes drehende Plattenspieler von Alex Heim in der Klasse Bogomir Ecker. Ernster geht es zu in der Klasse Egbert Haneke mit Arbeiten zur Polizeifotografie, zu Tatort- und Fahndungsfotos, mit Original-Schießscheiben und professioneller Spurensicherung an einem eigentlich ganz belanglosen Tisch. Eher politisch ist auch die Einladung an die Belgrader Künstlergruppe SKART, die seit gestern einen Workshop über Kunst und Krieg anbietet. Zu Gast sind ferner Studenten aus einem Austauschprojekt mit der Kunsthochschule des französischen Le Mans.

„Der Platz ist da, man muss ihn nur sehen“ verkündet eine große Sprechblase auf Holz. Solche Ironie ist ganz plötzlich nicht mehr nötig: Als Höhepunkt ihrer Amtszeit verkündete die Präsidentin, dass der Senat den jahrzehntelangen Bitten entsprochen hat und 30 Mio Mark für einen Anbau bewilligt habe, der ab 2002 realisiert werden soll.

Der Publikumspreis der Eröffnung, der von der Karl-H.-Ditze-Stiftung mit 3000 Mark ausgestattet wurde, ging zu gleichen Teilen an eine Fotoserie von Piet Sauerwein und an den Zuckerbrunnen von Simon Wunderlich mit der auch als großer Pisser benannten lebensgroßen Figur aus kandiertem Zucker, die bis auf weiteres, abhängig von größeren Regenfällen, auf dem Vorplatz stehen bleiben wird. Den undankbaren dritten Platz belegte Sabine Emmerich mit fünf überlebensgroßen, weißen Handskulpturen. Hajo Schiff

Jahresausstellung der Hochschule für Bildende Künste, Lerchenfeld 2, täglich 14 - 20 Uhr, bis Sonntag

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