Patente auf Leben

Die EU-Richtlinie verstößt nach niederländischer Auslegung gegen die Grundrechte

von WOLFGANG LÖHR

Mit einem derart breiten Widerstand gegen das neue Biopatent-Gesetz hatte das Bundesjustizministerium wohl kaum gerechnet, als es im April einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-„Richtlinie über den rechtlichen Schutz von biologischen Erfindungen“ vorlegte. Diskussionsbedarf über das neue Patentrecht hat nicht nur das grün geführte Gesundheitsministerium angekündigt. Gegen die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht sprechen sich auch Parlamentarier aus der SPD-Fraktion aus. „Hier wird versucht, ganze Wissenschaftsfelder zu privatisieren, hier werden in Wildwestmanier Ansprüche abgesteckt“, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg.

Während Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die an dem Grundsatz „Keine Patente auf menschliche Gene“ festhält, ihre Änderungswünsche der Kollegin Herta Däubler-Gmelin im Justizministerium schriftlich mitteilte, brachte Wodarg einen Antrag in die parlamentarische Versammlung des Europarates ein, der ein Moratorium für die Patentierung von Genen vorsieht. In der Resolution, die Ende Juni mehrheitlich angenommen wurde, ist die Forderung aufgestellt, dass die Richtlinie von der EU-Kommission zurückgezogen und neu verhandelt wird.

Fast zehn Jahre lang wurde in Brüssel erbittert über die Biopatent-Richtlinie gestritten. Vor allem die Frage, ob auch auf Tiere und Pflanzen sowie menschliche Gene Patente vergeben werden dürfen, stand auf der Tagesordnung. Erst 1998, nach einem zweiten Anlauf, wurde dann die Richtlinie 98/44 endgültig verabschiedet. Zwar heißt es immer noch in der Richtlinie: „Tierarten und Planzensorten“ sind nicht patentierbar. Dieser Grundsatz konnte nicht gestrichen werden, da er gleich lautend auch im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) steht. Dieses internationale Regelwerk, das die Grundlage für das Europäische Patentamt (EPA) in München ist, konnte nicht verändert werden, da hier auch Nicht-EU-Staaten, wie zum Beispiel die Schweiz, beteiligt sind.

In der EU-Richtlinie wird dieses Patentierungsverbot einfach übergangen, in dem jetzt Patente für zulässig erklärt werden, die ganze Tier- oder Pflanzengruppen umfassen. So wurde nach Angaben von Greenpeace im April ein Einspruch gegen ein Patent des Gentech-Konzerns Monsanto vom EPA mit dem Verweis auf diesen Passus in der EU-Richtlinie zurückgewiesen. Das Monsanto-Patent umfasst Pflanzen, die gegen das firmeneigene Herbizid Roundup widerstandsfähig gemacht worden sind. Aufgeführt sind fast zwanzig Pflanzenarten, unter anderem Mais, Weizen, Sojabohne, Baumwolle, Pappel, Kiefer und Traube. „Obwohl der Patentinhaber bestätigte, dass das Patent Pflanzensorten umfasst“, so Greenpeace, „wurden die Einsprüche zurückgewiesen.“

Diese Erteilungspraxis fand bisher in einer Grauzone statt. Der Patentanmelder lief immer Gefahr, dass seine Ansprüche zurückgewiesen wurden. Mit der Patent-Richtlinie wollte die EU-Kommission hier endlich eine Rechtssicherheit und vor allem ein einheitliches Recht in den Mitgliedstaaten schaffen.

Der aktuelle Streit konzentriert sich vor allem auf die Patentierung menschlicher Gene und Körperteile und die Frage, ob auch Techniken zum Klonen von Embryonen unter Verwertungsschutz gestellt werden dürfen. Hier schaffe das neue Patentrecht mehr Verwirrung, als dass es zur Klärung von Streitfällen beitrage, sagte Christoph Then, Gentech-Experte bei Greenpeace, vergangene Woche in Berlin auf einer Anhörung der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“.

So heißt es in der Richtlinie zwar, dass der menschliche Körper und Gene nicht patentierbar sind. Aber schon die Isolierung aus dem menschlichen Körper und die auch nur vage Andeutung einer Funktion oder kommerziellen Verwertung genügen, damit der Patentschutz greift. „Selbst wenn sich später herausstellt, dass das Gen noch ganz andere Funktionen hat“, so Then, „fällt die kommerzielle Verwendung in diesem Bereich unter den Patentschutz.“

Bereits heute gebe es derartige „Globalpatente“, erläuterte der Greenpeace-Experte auf der Berliner Anhörung. Als Beispiel führte er das Brustkrebs-Gen BRCA 1 an, auf das die US-Firma Myriad eine ganze Reihe von Patenten eingereicht habe. Beansprucht würden alle möglichen Anwendungen der Gensequenz, so unter anderem Medikamente und Therapien, von deren Entwicklung allerdings weder im Patent noch in der Realität etwas zu finden sei. „Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass BRCA 1 auch bei Prostatakrebs beteiligt sei, dürfte niemand ohne die Erlaubnis von Myriad auf der Grundlage dieses Gens ein Medikament oder Diagnoseverfahren für diese Krebsart auf den Markt bringen.“

Die Kritiker der Richtlinie stellen das Patentrecht nicht grundsätzlich in Frage. Nur die menschlichen Gene und andere Körperteile sollen grundsätzlich von einem Verwertungsschutz ausgenommen werden. Warum nur werden die Patente nicht auf eine konkret angegebene Anwendung beschränkt, ein Medikament oder einen Diagnosetest? Ein umfassendes Patent führe zur Forschungsbehinderung, warnen seit längerem schon Ärzteorganisationen.

Fast täglich wird die Liste der Kritiker länger. So sprachen sich vergangene Woche auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker und Detlef Ganten, Chef der Helmholtz-Gemeinschaft, gegen zu weit gefasste Patente aus. Die Bremer Gesundheitsministerin Hilde Adolf fordert im Einklang mit einer Unesco-Erklärung: „Das Genom der Menschen ist gemeinsames Erbe aller Menschen und darf nicht durch eine Patentierung einzelnen Firmen oder Privatpersonen zu kommerzieller Nutzung überlassen bleiben.“ Auf ihren Antrag hin beschloss vor kurzem die Konferenz der 16 Landesgesundheitsminister einmütig, „dass weder das menschliche Genom, Teile davon, noch Organe oder Zellen des Menschen patentierbar sein dürfen“. Sie baten die federführende Justizministerin Däubler-Gmelin, sich dafür einzusetzen, dass die EU-Patentrichtlinie dahin gehend geändert werde.

Ende Juli läuft die Frist ab. Bis zu diesem Termin müsste die Richtlinie eigentlich umgesetzt sein. Klar ist, dass diese Vorgabe nicht eingehalten werden kann. Vorgesehen ist jetzt, dass der Entwurf für das Änderungsgesetz „im August dem Kabinett vorlegt“ werde, sagt der Sprecher im Justizministerium, Thomas Weber. Inhaltliche Änderungen werde es nicht mehr geben. „Wir müssen die Richtlinie 1 : 1 umsetzen, sagt Weber, „wir haben keine andere Möglichkeit.“ Nach dem EU-Vertrag sind alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet. Ein Änderung könne nur in Brüssel erfolgen, so Weber.

Die Richtlinie zu Fall bringen kann jetzt nur noch eine Klage der niederländischen Regierung. Sie hatte nach einem Beschluss des Parlaments beim Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitserklärung beantragt. Als Begründung führt sie unter anderem an, dass die Verabschiedung der Richtlinie vom EU-Ministerrat nicht nach einer Mehrheitsentscheidung hätte erfolgen dürfen. Weil hier das EU-Recht ausgeweitet worden sei, hätte dieser Beschluss nur nach dem Einstimmigkeitsprinzip gefasst werden dürfen, erläuterte Marc Fierstra, Rechtsberater des Niederländischen Außenministeriums, auf der Berliner Anhörung. Die Niederländer wehren sich auch dagegen, dass mit der Richtlinie nationales Recht gebrochen werde. So gebe es in den Niederlanden ein Gesetz, das die Patentierung von Tieren grundsätzlich verbiete. Diese Vorschrift müsste, so Fierstra, nach der Richtlinie geändert werden. In der Klageschrift wird auch angeführt, dass die Richtlinie gegen die Grundrechte verstoße. So gebe es keine Vorschrift darüber, dass, „zumindest was die menschliche Materie betrifft, der Spender ein Wort mitzureden hat, was aus seinem Körper kommt“. Konkret bedeutet dies, dass bei Patentanträgen für menschliche DNA vom Patentamt noch nicht einmal überprüft werden muss, ob eine Einverständniserklärung des Spenders vorliegt. Monika Knoche, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitglied in der Enquetekommission, möchte, dass die Bundesrepublik sich der niederländischen Klage anschließt. Doch dafür ist die Frist bereits abgelaufen. Zudem hat auch die Klage keine aufschiebende Wirkung für die Umsetzung der Richtlinie.