Die Formel 1 des Radsports

Die besten Fahrer und Konstrukteure von „Human Powered Vehicles“, im Deutschen eher unspektakulär als Liegeräder bezeichnet, messen sich ab heute bei der Weltmeisterschaft in Belgien

aus GentKNUD JAHNKE

Radsport in den Medien ist in diesen Tagen wieder Team-Telekom mit Jan Ullrich und das Damoklesschwert Doping. Radfahren besteht aus Rennrädern bei der Tour de France. Die stärksten Fahrer rasen Pässe hoch und gewinnen Wimpernschlag-Sprints. Die stärksten Fahrer – aber nicht die schnellsten.

Die schnellsten findet man ab heute bei einer anderen Veranstaltung, der Weltmeisterschaft der HPVs – Human Powered Vehicles, zu deutsch Liegeräder. Bis zum Sonntag kämpfen die schnellsten Männer und Frauen der Welt im belgischen Gent um Titel – außerhalb von Profi(t)tum und Doping. Außerhalb des Welt-Radsportverbandes UCI.

Liegeräder sind bei Rennen der UCI seit 1938 verboten. Damals liefen die Experimente französischer Konstrukteure auf neue Bauformen hinaus: Jenseits des mittlerweile über 100 Jahre alten Diamantrahmens von Rennrädern gab es drastische Verbesserungen in Aerodynamik und Ergonomie. Eine flache, fast waagerecht zurückgelehnte Position des Fahrers reduzierte den Luftwiderstand. Mit einer im Vergleich zum Sattel besseren Abstützung auf einem Schalensitz schwanden die bekannten Belastungen der Rennradhaltung. Hinterteil, Handgelenke, Nacken und Rücken waren plötzlich schmerzfrei.

Für die UCI war diese Entwicklung außerhalb ihres Einflusses und sofort suspekt. Kurzerhand erhob man den Diamantrahmen zum einzigen Standard, was er bis heute geblieben ist. Als Folge wurden über Jahrzehnte alle Bemühungen zur Weiterentwicklung erstickt – das microsoftartige Monopol der UCI sorgte für Konformität beim Radsport, die sich in den Freizeitbereich hinein fortsetzte.

Erst 30 Jahre später, Anfang der 70er-Jahre, entsannen sich einige Enthusiasten der frühen Versuche und griffen das damals Begonnene auf. Die Stunde der genialen birkenstockbeschuhten Garagenbastler begann – ein Image, dem die HPV-Szene bis heute nicht völlig entronnen ist. Es entstanden eine Menge verschiedener Bauformen, Antriebskonzepte und aerodynamischer Elemente und mit der Zeit erhielt auch High-Tech Einzug. Der Luftwiderstand wurde so weit reduziert, dass 1980 zum ersten Mal ein Mensch aus eigener Kraft über 90km/h fuhr. Mittlerweile steht der Rekord bei mehr als 110 km/h. Während der offizielle UCI-Weltrekord von Chris Boardman über eine Stunde bei 56 km steht, fuhr (Rennrad-)Profi Lars Teutenburg im voll verschalten und windkanaloptimierten HPV „White Hawk“ über 81 km weit.

Jenseits der Rekordversuche hat sich in Europa eine lebendige Rennszene gebildet, mit Schwerpunkt in Holland und Belgien. Dies ist nicht verwunderlich, dort werden auch die meisten Räder verkauft – mehrere 10.000 pro Jahr. Im Gegensatz zu den Rekordfahrten muss man aber keinen eigenen Windkanal besitzen, um in der internationalen Konkurrenz mitzumischen. Mittlerweile gibt es ca. 100 verschiedene Modelle zu kaufen, wobei man für ein gutes Renn-Liegerad leicht 4.500 Mark ausgeben kann. Der Trend geht – in dieser Szene – seit einiger Zeit hin zu sehr flachen Rädern mit 20 Zoll Bereifung und einer Sitzhöhe von nur 20–25 cm über dem Boden. In Verbindung mit einer Heckverschalung aus Glas- oder Kohlefaser können damit Geschwindigkeiten von mehr als 65 km/h erreicht werden.

Bei den größeren Renn-Meetings in Zolder (Belgien), Lelystad (Holland) und im September in Köln geht es in sehr unterschiedlichen Disziplinen zur Sache: vom 6-Stunden-Ausdauerrennen über Kriteriums-Rundenrennen bis hin zum 200-m-Einzelsprint mit fliegendem Start und einem 50-m-Sprint (Drag-Race), das bei den Schnellsten weniger als sieben Sekunden dauert. Neben diesen Veranstaltungen gibt es deutsche, Europa- und Weltmeisterschaften. Bei der diesjährigen WM in Gent stehen zehn verschiedene Rennen auf Bahn und Straße auf dem Programm. Highlights werden der 200-m-Sprint sein und das Vierer-Mannschaftszeitfahren über 10 km auf der Bahn.

Den HPVs gehört ein Teil der Zukunft, als (olympischer?) Sport und als Alternative zum Auto im Individualverkehr. Wie eine Untersuchung ergeben hat, ist Liegeradfahren die energetisch effizienteste Fortbewegungsform – nicht nur des Homo sapiens, sondern aller Lebewesen zu allen Zeiten. Gestrampelt wird allerdings auch bei der WM weiterhin selbst.