: Großmacht-Mythos ist ungebrochen
Russlands Außenminister Igor Iwanow stellt die neue außenpolitische Dokrin vor. Danach strebt Moskau eine multipolare Weltordnung an. Bedingungen diktieren lassen will sich der Kreml von keinem, dafür aber seine Schulden erlassen bekommen
aus Moskau BARBARA KERNECK
„Russland war eine Großmacht, ist eine und wird immer eine sein“ – mit dieser Feststellung eröffnete Außenminister Igor Iwanow gestern eine Pressekonferenz, auf der er die neue außenpolitische Doktrin seines Landes vorstellte. Gleichzeitig bemerkte er: Falls von Versuchen geredet würde, anderen Staaten Bedingungen zu diktieren, „so hat das mit Russland nichts zu tun“.
Hier sei gleich angemerkt, dass Moskau Tschetschenien nicht als Staat versteht. Unter anderem darauf bezog sich folgende Passage in Inwanows Rede: „Wenn Härte erforderlich sein wird – werden wir Härte zeigen. Aber man darf dies nicht als erhöhte Konfliktbereitschaft oder Aggressivität interpretieren.“
Iwanows Vortrag ergänzte den Bericht zur Lage der Nation, den Präsident Putin am Sonnabend vor der Duma geliefert hatte. Auch dieser Text strotzte von einem Vokabular der Macht, Härte und Stärke, in seinem Zentrum stand der „starke Staat“. Die Worte „Staat“ und „staatlich“ kamen darin 87-mal vor, das Wort „Demokratie“ gar nicht. Immerhin redete Putin von der Notwendigkeit der Freiheit des Wortes und einer Bürgergesellschaft. Hier verzeichnen Beobachter eine Kluft zwischen Putins Worten und Taten – seit den letzten Angriffen auf die Pressefreiheit.
Ebenfalls übereinstimmend mit Putin erklärte Iwanow gestern: „Die Russische Föderation wird ein multipolares System in den internationalen Beziehungen anstreben.“ Diese Forderung ergibt sich für das größte Land der Welt schon allein angesichts des Verlaufes seiner Grenzen. Vor allem die Kontakte zu China und Japan müssen schon wegen der gemeinsamen Probleme im fernen Osten auf der Prioritätenliste der russischen Politik stehen. Kürzlich schlug das Duma-Komitee für Geopolitik Alarm: Im letzten Jahr habe die eine Million russischer Bürger in der Amur-Grenzregion Zuwachs durch 238.000 illegale chinesische Einwanderer bekommen. „Wir drohen zu einer dahinschwindenden Nation zu werden“, formulierte Putin.
Russlands Präsident bereitet sich jetzt auf das Treffen der Großen Sieben im Juli auf der japanischen Insel Okinawa vor. Russland will dort ein Ziel verfolgen, das zu einer Großmacht nicht passt. Es möchte einen Teil seiner 42-Milliarden-Dollar-Schuld gegenüber dem Pariser Klub erlassen bekommen.
„Trotzdem hat der Präsident bisher wenig auf Warnungen westlicher Gesprächspartner gehört“, sagte der Moderator des Privat-TV-Senders NTV, Jewgeni Kisseljow. „Es scheint, als dächte der Kreml: Letztlich können die ja doch nicht ohne uns. Sie versuchen uns immer Angst zu machen, aber schließlich kommen sie doch angekrochen.“
Kisseljow wies darauf hin, dass dies ein Trugschluss sein könne, denn schließlich hinge das Gewicht, dass die westlichen Länder Russland beimessen, von dessen wirtschaftlicher Bedeutung ab. Er zitiert eine schwedische Expertenstudie, der zufolge der Westen maximal ein Jahr bräuchte, um russische Waren auf seinen Märkten durch andere zu ersetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen