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„Kein KZ-ähnliches Lager“

Der Präsident des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Uwe Runge, über Zwangsarbeiter und Entschädigungszahlungen der Kirchen

taz: Die evangelische Kirche hat jetzt beschlossen, sich am Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter zu beteiligen. Ist das darauf zurückzuführen, dass unter dem Dach der Kirche Zwangsarbeiter beschäftigt wurden?

Uwe Runge: Nein, wir haben seit längerer Zeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und in der Diakonie darüber nachgedacht, ob wir uns an dem Aufbringen der Mittel für den Entschädigungsfonds beteiligen sollen. Und zwar ganz unabhängig davon, in welcher Art und Weise wir selbst darin verwoben waren. Wir begreifen die Initiative als Solidarbeitrag des deutschen Volkes. Dafür wollen die EKD und die Diakonie rund 10 Millionen Mark aufbringen. Über die Details wird noch beraten, aber bis zum September ist das geklärt.

In einer Berliner Kirchengemeinde war die Existenz eines Zwangsarbeiterlager schon länger bekannt. Warum treten Sie jetzt erst an die Öffentlichkeit?

Über das Phänomen Zwangsarbeiter weiß man Bescheid, seit es sie gegeben hat, nämlich seit dem Zweiten Weltkrieg. Man muss zudem die verschiedenen Formen der Zwangsarbeit unterscheiden: Da gab es zunächst KZ-Häftlinge und Gefangene, die in der Industrie arbeiten mussten. Dann gab es die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, die in einer relativen Freiheit stattgefunden hat. Und nun hat es auch bei der Beerdigung von Bombenopfern in deutschen Großstädten – in Berlin wissen wir es genau – den Einsatz von Zwangsarbeitern gegeben. Rund 30 Prozent der Berliner Friedhöfe sind Kirchhöfe. Auf dem Gelände eines Kirchhofes hat es offensichtlich ein Lager gegeben. Unklar ist noch, wer das eingerichtet hatte und wer die Verfügungsgewalt hatte. Es war aber kein KZ-ähnliches Lager.

Das Lager ist seit fünf Jahren bekannt . . .

Damals ist darüber berichtet worden, aber das Thema ist erst jetzt mit der Stiftungsinitiative ins öffentliche Bewusstsein gekommen. Da haben sich Gemeindemitglieder an den Bericht erinnert und nachgeforscht.

Was ist dabei herausgekommen?

In Berlin-Neukölln gab es offensichtlich ein Lager auf dem Kirchhofgelände der Jerusalems- und Neuen Kirchgemeinde, an dem 26 evangelische und 2 katholische Gemeinden beteiligt waren. Bisher wissen wir, dass in diesem Lager ab 1943 rund 100 Menschen lebten, wahrscheinlich russische Kriegsgefangene. Es gab zwei Baracken, in der einen wurde geschlafen, in der anderen gegessen. Das muss eine zentrale Einrichtung gewesen sein, weil mehrere Gemeinden beteiligt waren. Offensichtlich ging es darum, stadtweit die Toten des Bombenkrieges zu beerdigen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden Zwangsarbeiter nicht nur auf kirchlichen, sondern auch auf städtischen Friedhöfen eingesetzt.

INTERVIEW: RICHARD ROTHER

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