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ex und pop (8): weltbotschaftersegnen

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Der Fülle und Farbe seines Haupthaars nach zu urteilen, muss es spätestens Mitte der Siebzigerjahre gewesen sein, als Franz Beckenbauer für den „Selbsthaarschneider Hairmatic® 2000 von Liedtke“ warb. Das Gerät aus schwarzem Kunststoff mit perfekt integrierter Klinge, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, verfügte über eine „Haarlängenjustierung“, wodurch die horrende Zahl von „International 34 Patente“ plausibel wird. Die „Liedtke-Gruppe 2000“, Beckenbauers Werbepartner, war damals schon, als die Globalisierung noch nicht bekannt war, praktisch weltweit, sozusagen überall tätig, und fraglos antizipierte Beckenbauers frühes Engagement für 2000-fähige Themen die hervorragende Rolle, die er in diesem „symbolträchtigen“ Jahr in aller Welt und Bescheidenheit spielt. Niemand zweifelt daran, dass Deutschland ohne ihn den Zuschlag für die Fußball-WM kaum erhalten hätte. Außerdem ist es in Berlin ein offenes Geheimnis, dass er vice versa im Hintergrund die Fäden zog, als in der vergangenen Woche um die Zustimmung im Bundesrat zur „Steuerreform“ gerungen wurde, nicht ganz uneigennützig, wie Beckenbauer unter Freunden zugab, denn bei einem Spitzensteuersatz von noch 42 Prozent will er seinen Wohnsitz in Kitzbühel aufgeben und an den Starnberger See verlegen. Nun bestätigten Eingeweihte zudem die Vermutung, dass Beckenbauer auch maßgeblich an der Freilassung von Renate Wallert beteiligt war, wofür er den Rebellen die WM 2012 versprochen hat im Vertrauen auf ihr Unvermögen, in Viererschritten zu rechnen.

Die vorerst letzte, aber größte Herausforderung des Jahres liegt noch vor ihm: Die Rettung der Expo. Denn die Situation wird von Tag zu Tag kritischer. Einige Beispiele von vielen: Wim Wenders dreht einen Expo-Spot mit Verona Feldbusch; „Enercity“, vormals Stadtwerke Hannover, kündigt die ersten Stromsperren an, weil „knapp 10 Betriebe oder Pavillons“ ihre Rechnungen nicht bezahlen; im tunesischen Restaurant „Le Carthage“ kostet die Wasserpfeife seit Tagen „heute nur 10 DM“. Und in den Souvenirshops bieten sie „3 für 2“ feil, aber nur „gleiche Teile“.

Doch wenn die Nacht am tiefsten, kommt der Franz, der in seiner Eigenschaft als Expo-Botschafter bereits vor über einem Jahr versicherte: „Was ich in meinem Namen und mit meinen Möglichkeiten kann, dass die EXPO 2000 im nächsten Jahr ein großer Erfolg wird, will ich gerne tun.“

Jetzt ist seine Stunde gekommen. Der Plan sieht vor, dass er, begleitet von seinem aktuell arbeitslosen Kumpel Lothar Matthäus, am kommenden Wochenende lichtgestaltig auf dem Weltausstellungsgelände erscheint und das Hauptquartier, sämtliche Drehkreuze sowie einzelne ausgewählte Pavillons segnet. Matthäus wird danach zur Dauerausstellung erklärt und im Christus-Pavillon fest installiert, wo er zehn Stunden täglich aus seinem Evangelium vorträgt. Außerdem tritt eine überzeugende Regelung in Kraft: Nur wer zehn Expo-Tageskarten vorweisen kann, hat in sechs Jahren überhaupt eine Chance, eine einzige WM-Karte zu kaufen. Das könnte reichen.

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