: Wo liegt Kirgisistan?
Wo der Himmel die Erde berührt: High Tech und Nomadentum ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Um die Frage gleich zu beantworten: Kirgisistan, ehemalige Sowjetrepublik, als Staat gegründet 1991, grenzt nordwestlich an China. Aus dieser ehemaligen Sowjetrepublik kommt, viele wissen es, Tschingis Aitmatov, der jetzt den deutsch-amerikanischen Regisseur Frank Müller bei seiner Arbeit an Wo der Himmel die Erde berührt unterstützte.
Und poetisch könnte man auch den Dokumentarfilm nennen, der mit langsamer Kamera seinen beiden Hauptfiguren durch ihren Alltag folgt: der alten Schäferin Bübüsch und dem traditionellen Geschichtenerzähler Rysbek, der das Epos des Helden Manas fast singend vorträgt. Ihrer beider Leben wird nomadisch genannt, man stellt sich darunter im Westen permanente Ortswechsel vor. In der Tat wechseln die Kirgisen selten mehr als zwei Mal im Jahr den Stellplatz für ihre Jurte, witterungsbedingt. Die größte Rolle für Müllers Kamera, die er selbst bediente, spielt denn auch die Natur, von der in Kirgisistan reichlich vorhanden ist, endlose Flächen auf über 3 000 Meter Höhe, riesige Berge und, nicht zu vergessen, Seen. Frank Müller beweist aber auch Humor, wenn er den Eposerzähler, von dem man das wirklich nicht vermutet hätte, auf seinem alten Moped mit Beiboot zeigt und ihn dabei aus dem Off weiter seinen Sprechgesang vortragen lässt. Eine kommentierende Stimme gibt es nicht.
Auf eine Stimme aus dem Off zu verzichten, gilt ja als Maßnahme der Behutsamkeit. Dem allwissenden Erzähler will der Dokumentarfilmer heute oft nicht mehr gleichen. Denn wenn er spricht, drängt er dem Gezeigten seine Perspektive gleich zweifach auf: zusätzlich zur Wahl der Worte noch durch die Auswahl der Bilder. Allerdings wird durch den Verzicht auf einen mündlichen Kommentar dem Film auch ein Hinweis auf eben seine Perspektivität genommen. Das fängt beim Weitwinkel an, der ausgiebig vor allem dann eingesetzt wird, wenn hauptsächlich unbearbeitete Natur gezeigt werden soll. Dem menschlichen Auge steht er nicht zur Verfügung. Weitwinkel soll uns sagen: Seht, diese Weiten der Natur, ergreifend. In Wo der Himmel die Erde berüht wird diese Weite eindrücklich kontrastiert mit der Enge der Maschinenhallen, in denen Gold zu Barren gemacht wird.
Kirgisistan verfügt mutmaßlich über das umfangreichste Goldvorkommen der Erde. Müller zeigt exemplarisch an einer der zehn größten Minen der Welt, die der kanadischen Firma Kumtor gehört, wie ausländische Investoren mit der vormals unberührten Natur und ihren nomadischen Bewohnern umgehen. Und so beginnt der Film mit der Sprengung eines zuvor in seiner ganzen beeindruckenden Umgebung gezeigten Berges. Der Gegensatz von Natur und, sagen wir, Technik wird später abgebildet in einer Diskussion von Arbeitern. Einer von ihnen ist gerade gestorben, an einem Unfall, wie sie es nennen. Die widerstreitenden Seiten beschimpfen abwechselnd das Firmenmanagement, das auch müde Arbeiter weiter auspresst, oder loben es, da es den Kirgisen Geld bringe. Rysbek tritt gar dafür ein, gemeinsam in der Hauptstadt Bischkek zu demonstrieren, um der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen. Wie der Streit ausgeht, das zeigt der Film nicht. Und er ergreift auch nicht Partei für eine der Seiten.
Wohl aber entscheiden die Bilder zwischen Natur und Technik, zwischen dem Leben in der Jurte, inklusive Schafzucht, Schafschlachtung, Pferdemelken und Reiterwettstreiten einerseits und der industriellen Arbeit andererseits, die übrigens nie gezeigt wird. Die Perspektive ist immer ein biss-chen die der Sehnsucht nach einem scheinbar stressfreien Leben in Einheit mit der Natur.
Premiere heute Abend in Anwesenheit des Regisseurs, 20 Uhr, Zeise
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen