: Haltlose Behauptungen
betr: „Späte Einsicht“ (CSU kann Unterschriftenkampagne gegen Homo-Ehe nicht riskieren), taz vom 13. 7. 00
Die vermeintliche Verfassungswidrigkeit des Gleichstellungsgesetztes, die die CDU/CSU behauptet, ist unhaltbar.
Schon am 17. Juni 1993 sprach sich die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat mit 27 zu 22 Stimmen bei 3 Enthaltungen dafür aus, in den Gleichbehandlungsartikel eine Bestimmung aufzunehmen, wonach niemand aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde durch den Widerstand der CDU/CSU und der Enthaltung der FDP verfehlt. Bei einer Anhörung der Verfassungskommission plädierten fünf der sieben Sachverständigen für eine Antidiskriminierungsbestimmung.
Ich darf daran erinnern, dass in den Landesverfassungen von Berlin, Brandenburg und Thüringen, wo die CDU (mit)regiert, ausdrücklich festgeschrieben wurde,dass niemand aufgrund seiner „sexuellen Identität“ beziehungsweise „sexuellen Orientierung“ benachteiligt werden darf. Die Christlich Demokratische Union, die sich so gerne als Verfechterin europäischer Einigung zeigt, muss auch wissen, dass Art.13 des Vertrages von Amsterdam (der vorläufigen europäischen Verfassung) Bekämpfung von „Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Hautfarbe, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und des Glaubens, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung“ vorsieht. In seinen jährlichen Resolutionen zu den Menschenrechten hat das Europäische Parlament seine Mitgliedsstaaten ständig aufgefordert, die Benachteiligung der Schwulen und Lesben zu beenden. Nach wie vor bietet das Grundgesetz Homosexuellen keinen ausdrücklichen Schutz vor Diskriminierung. Das Gleichbehandlungsgebot in Artikel 3, Absatz 3 hat bisher rechtliche Benachteiligungen von Homosexuellen nicht wirksam verhindert. Die Rechtlosigkeit homosexueller Lebensgemeinschaften besteht fort. Wenn die sexuelle Ausrichtung durch das Grundgesetz geschützt wäre, wären die Gespräche über die angebliche Verfassungswidrigkeit des neuen Gesetzes längst vom Tisch gewesen.
JURIJ RASKOWALOW , Karlsruhe
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