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Polyester rests forever

■ Das A-cappella-Quartett „The Bobs“ aus den USA begeisterte im natürlich ausverkauften Schlachthof mit ausgefeilten Arrangements und bizarren Kleiderordnungen

Ohne Scheiß – Bremens unterfinanzierte Kulturszene ließe sich ganz ohne jeden Zweifel durch die massenhafte Durchführung von A-cappella-Konzerten auf einen Schlag sanieren. Kaum dass in der Stadt eine Bühne mit Mikrophonen vollgestellt wird – verknüpft mit der Versicherung, dass durch sie keinerlei Instrumentenklänge zu hören sein werden – versammeln sich sofort so viele BremerInnen in dem Konzertsaal, dass die Luft darin knapp wird.

Der Ort, wo dieses Phänomen mit schöner Regelmäßigkeit beobachtet werden kann, ist der Schlachthof. Die dort vor zwei Jahren ins Leben gerufene A-cappella-Reihe „Vocal Heroes“ füllt die wahrlich nicht kleine Kesselhalle regelmäßig bis unters rohrbehängte Dach mit ebenso regelmäßig erschreckend euphorischen Menschen – die auch dann in Scharen kommen, wenn der letzte Auftritt der zu bejubelnden Formation gerade mal ein Jahr zurückliegt. „The Bobs“ gaben sich also erneut die Ehre, ein US-Quartett, das sich Anfang der 80er Jahre in der College- und Universitätsszene den Ruf des hippen Geheimtipps erarbeitete und inzwischen regelmäßig im TV zu Gast ist, eine Radiosendung sein Eigen nennt und schon mehrfach für den Oskar der Musikbranche „Grammy“ nominiert war.

Karrieretechnisch also bereits im Zenit, ließe sich in puncto Kleiderwahl bei den Bobs durchaus noch was machen. Amy Bob Engelhardt beispielsweise hüllte ihren Klangkörper zu Beginn des Konzerts in ein geschmackfreies Werder-Bremen-Fanshirt. Derart etablierte sie allerdings keine ästhetische Differenz zum Outfit des männlichen Resttrios, die u.a. weiße PVC-Collegesandalen und Plastikoberhemden trugen, die im VHS-Grundkurs „Batiken für Totalversager“ entstanden sein müssen. „It's Polyester, but it always looks great“, übte sich Joe Bob Finetti da vergeblich um Schadensbegrenzung.

Aber macht ja nix, bei SängerInnen zählen – wenn wir Britney Spears, Modern Talking, Backstreet Boys, Zlatko & Jürgen und Blümchen mal beiseite lassen – die inneren Werte. Und von denen hatten die Bobs einige zu bieten. Beeindruckende stimmliche Qualitäten paarten sich zwei Stunden lang allerliebst mit Wortwitz- und Slapstickeinlagen. Und selbst da, wo der Klamauk albern und die Witze mau waren, kannte die Begeisterung keine Grenzen, konnte man doch nie sicher sein, ob die Pointe oder nicht eher doch die eigenen Englischkenntnisse schlecht waren.

Musikalisch bewegten sich die Bobs auf dem traditionell sicheren A-cappella-Standardterrain. Schon der Auftakt mit dem Ray-Charles-Hit „Unchain my heart“ deutete die Richtung an, in die sich Amy Bob Engelhardt, Joe Bob Finetti, Richard Bob Greene und Matthew Bob Stull zu bewegen gedachten. Hübsch arrangierte Popklassiker wie „Helter Skelter“ von den Beatles oder „White Room“ von Cream wechselten sich ab mit einer bizarren Choralversion von „Light my Fire“ und diversen Ausflügen in die harte Welt des Marlboro-Mannes, der den „Ring of Fire“ mit seinen „Cowboy Lips“ besingt.

Ab und an deutete das Quartett an, dass auch sie über einen MTV-Kanal verfügen. Die Folge: Eine wunderbare Version des Coasters-Hit „Searchin'“ aus den 50er Jahren im scratchenden DJ-Sounddress der 90er oder ein Remix des „Psycho Killer“ der Talking Heads, bei dem man sich um den gesundheitlichen Zustand des zunehmend unkontrolliert zuckenden Joe Bob Finetti ernsthaft Sorgen machen musste.

Als schließlich die kurzzeitige Abwesenheit Amy Engelhardts von den drei Herren dazu genutzt wurde, ohne erkennbare Anzeichen von Schamesröte eine unbeschreiblich doofe Interpretation eines Krishna-Songs darzubieten, war der Höhentiefpunkt des Abends erreicht. Wohl nur mit dem massiven Einfluss bislang unbekannter exotischer Drogen ist zu erklären, dass Bierbauchtänze, religiös-spastische Zuckungen und Gerstensaftfußbäder eine Verbindung eingingen, die noch schräger war als das zwischenzeitlich gewechselte, Prilblumen-übersäte Poly-esterhemd von Sektenbruder Joe Bob Finetti. Strange, but lustig!

Franco Zotta

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