: Hexentanz der Wölfe
Wenn ungesunde Silhouetten von Ferne über den Bildschirm wabern: Deutsch-polnische Warschau-Impressionen ■ Von Petra Schellen
Künstlerische Städteporträts – die Idee zu einem solchen Projekt ist nicht neu. Auch der Gedanke, deutsche und polnische Künstler in einem der beiden Länder zusammen zu bringen, ist nicht revolutionär, finden doch zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze zwischen Guben, Frankfurt/Oder und Stettin bereits seit Jahren regelmäßig deutsch-polnische Künstler-Pleinairs statt. Was kann also eine Ausstellung wie jene im Museum für Kunst und Gewerbe bieten, in der drei deutsche und sieben polnische Künstler die Stadt Warschau auf Papier und Leinwand gebannt haben?
„Ich wollte gegenständliche Werke präsentieren, die einen klaren Bezug zur Stadt Warschau haben“, erklärt Andreas Torneberg, Künstler und Organisator der Schau, für die die Künstler im Sommer 1999 gemeinsam in Warschau gearbeitet haben – aus Deutschland neben Torneberg Agnes Stangenberg und Katharina Bußhoff; die polnische Perspektive steuern Tomasz Milanowski, Dorota Godwod, Tomasz Sadlej, Marejk Swirydowicz, Olga Mokrzycka, Radoslaw Predygier und Lukasz Rudnicki bei.
Gegenständlich sind die ausgestellten Werke in der Tat: Kirchtürme, Parks und Denkmäler zieren die Leinwände, die in stilistische Richtungen einzuordnen wenig sinvoll ist: Von impressionistisch angehauchten Eindrücken bis zu Pollock-ähnlichem Farbgewühl ist so manches vertreten. Welche Aussagen treffen aber die Künstler des Projekts „Na Nowo“, das – wäre genügend Geld da gewesen – ein Austausch zwischen Hamburg und Warschau hätte werden sollen? Nehmen die Deutschen die polnische Hauptstadt intensiver wahr? Oder verleitet ein kurzer Aufenthalt dazu, Einzelerscheinungen überzubewerten? Hat ein Fremder überhaupt die Chance, Eindrücke jenseits der Klischees zu produzieren?
Schwierige Fragen, die die Betrachtung der präsentierten Bilder auch nicht recht beantwortet: Wie Wölfe gerieren sich beispielsweise die Gestalten auf den Nacht-Bildern Tornebergs, tummeln sich gar bedrohlich zwischen beschmierten Wänden und Mülltonnen. Zu Gespenstern geworden sind auch die Silhouetten jener nächtlichen Rollbrett-Fahrer, die ihren eigenen „Tanz auf dem Blocksberg“ vollziehen.
Doch was Vision ist und was Wirklichkeit, bleibt bewusst vage – auch auf den Bildern von Lukasz Rudnicki, der sie mal Blick aus dem Fenster, mal TV nennt und den Blick immer auf einen energetischen Punkt in der Ferne fixiert: Provozierend weiß ist jener Lichtstreifen auf einer Fensterbank in düster-blauer Frostnacht, blutrot ein fernes Quadrat, durch das ungesund-orange Silhouetten wabern.
Irreal und wie auf Heftkaro gezeichnet scheinen auch die für polnische Parks so typischen Betonwege, die stern- oder rautenförmig zwischen die Rasenstücke gesetzt sind, als habe sich die Wiese illegal dazwischen breit gemacht. Und die Anordnung der Wege – folgt sie geheimen Regeln? Die Fremden wissen es nicht, genauso wenig, wie Marek Swirydowicz entscheiden kann, ob seine Warschau-Symbole für die Betrachter deutlich genug sind: In verdorrendes Gelb hinein schwingt die Syrene im Gelben ihr Schwert, als wolle sie sich freikämpfen von der Last der Geschsichte. Und die Sigismund-Säule von Tomasz Milanowski – hat sie nicht schon fast der tiefblaue Himmel verschluckt? Verhaltene Zeichen der Hoffnung, die sogar in jenem düsteren Hochhaus-Ensemble von Olga Mokrzycka wiederkehren, in dem die grauen Klötze auf bizarre Weise zu kommunizieren suchen – über die einander gegenüber liegenden Balkons und Feuerleitern!
Und vielleicht ist es das, was trotz aller Grautöne bleibt und was auch die Hamburger Veranstaltungsreihe „1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarschaft“, zu der die Ausstellung gehört, im Herbst weiterführen wird: die Frage nach der Zukunft dessen, was von außen grau und öde erscheint. Und auf die die Künstler natürlich überhaupt keine Antwort zu geben brauchen.
Warschau – die Begegnung. Malerei und Zeichnung junger Warschauer und Hamburger Künstler. Museum für Kunst und Gewerbe, bis 3. September.
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