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modernes antiquariatChrista Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“

In weiter Ferne so nah

Mein Verhältnis zu Christa Wolf und Berlin war jahrelang gleichermaßen gespannt. So, wie ich Christa Wolfs Bücher dröge und verschachtelt fand, war Berlin in seiner Größe und seinem Tempo beängstigend, als ich vor zehn Jahren das letzte Mal da war. Am besten, dachte ich, man mied beides.

Nach zehn Jahren Abstinenz stellte ich mich den alten Ängsten. Ich kam nach Berlin und las einen der ersten Romane von Christa Wolf: „Der geteilte Himmel“. Die Geschichte erscheint heute so fern wie die DDR. Eine kleine Industriestadt irgendwo im Osten Deutschlands, Anfang der Sechzigerjahre. Noch ist die Mauer nicht gebaut, aber das Land ist schon geteilt. Die Studentin Rita arbeitet in ihren Semesterferien in einem Waggonwerk, weil vorbildliche Studenten auch den Alltag in der Produktion kennen lernen müssen. Dort lernt Rita Manfred kennen, einen Chemiker, der gegen Ignoranz und Bürokratie ankämpft, aber schließlich resigniert und die DDR verlässt. Er geht nachWestberlin.

Berlin ist weit weg von Ritas kleiner Stadt und im Roman doch allgegenwärtig. Kein Monat vergeht, in dem man nicht von einem hört, der dorthin geflohen ist – „Berlin W, du verstehst!“. Kein Wunder also, dass Rita nicht nur vor einem letzten Treffen mit Manfred auf feindlichem Boden Angst hat, sondern auch vor Westberlin: „Vieles gefällt einem, aber man hat keine Freude daran. Man hat dauernd das Gefühl, sich selbst zu schaden. Es ist schlimmer als im Ausland, weil man die eigene Sprache hört. Man ist auf schreckliche Weise in der Fremde.“

Vierzig Pfennig bezahlt Rita für eine Hin- und Rückfahr zum Zoologischen Garten: „Für vierzig Pfennig hielt sie zwei verschiedene Leben in der Hand.“ Sie entscheidet sich für das Leben in der DDR und lässt Manfred zurück.

Fast acht Mark kostet mich heute eine Tageskarte, die nur ein normaler Fahrschein ist, mit dem ich zum Alexanderplatz fahre. Der Alex meiner Kindheit war riesengroß, die Weltzeituhr ragte in den Himmel, umgeben von Menschenmassen. Jetzt habe ich Schwierigkeiten, mich auf dem überraschend leeren Platz zu orientieren und die Uhr überhaupt zu finden. Wahrscheinlich kann man sich hier sogar wohl fühlen. Berlin ist immer noch groß und laut, aber nicht Furcht einflößend wie in meiner Erinnerung.

Christa Wolfs Buch mag ich noch immer nicht besonders. Ich kann Ritas Entscheidung nicht verstehen, auch wenn ich selbst ein Kind der DDR bin und mich durchaus an das Unbehagen gegenüber dem anderen Deutschland erinnern kann. Auch ich mochte meinen Teil Deutschlands recht gern. Aber würde eine echte Rita ihren Freund wirklich gehen lassen, weil ihr ein Staat mehr bedeutet? Ist der Himmel wirklich das Erste, was sich teilt?

SUSANNE KATZORKE

Christa Wolf: „Der geteilte Himmel“.dtv Taschenbuchverlag, München2000, 240 Seiten, 15,50 DM

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