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Wie im richtigen Leben

Die Hauptstadt der Kinder ist wieder geöffnet. Im FEZ Wuhlheide kämpft der Nachwuchs um Arbeitsplätze, besorgt die Müllabfuhr, macht Musik und raubt schon mal eine Bank aus

von BERT SCHULZ

Die beiden sind ohne Zweifel ausgebuffte Politikerprofis. Diplomatisch geben sie sich in ihren Aussagen gegenüber den Wählern und diffamieren unter der Hand den Bauhof als „störrisch“. Nach ihren politischen Zielen gefragt, nennen beide zuallererst ihre Wiederwahl. Die steht für Mittwoch an. Das bedeutet für Matthias, den 14-jährigen Bürgermeister von FEZitty, und Benjamin, den zwölfjährigen Stadtrat für Arbeit, so schnell wie möglich mit dem Wahlkampf anzufangen.

Zusammen mit vier weiteren Räten lenken die zwei Jungen die Geschicke der Hauptstadt der Kinder in der Wuhlheide. Hier ist alles so wie in der Welt der Erwachsenen. Es gibt ein Rathaus, eine Universität, eine Bank und jede Menge Arbeitsplätze: etwa im Solarlabor und beim Stadttheater, im Bioladen und im Tropenhaus, in der Putzkolonne und im Event-Management. Das organisiert zum Beispiel eine Love Parade oder Mister-Wahlen.

Auch in der Kinderstadt ist das Arbeitsamt besonders wichtig. Sehr begehrt seien die Jobs im Copy-Shop und „bei kleinen Mädchen die Arbeit in der Keramikfabrik“, berichtet Katharina, die 13-jährige Leiterin der Behörde. Nicht alle Arbeitsplätze sind für alle Kinder offen: Dekan an der Uni kann man erst mit zehn Jahren werden, Gärtnerin dagegen schon mit sechs. Rar, weil beliebt, ist auch die Anstellung als Taxifahrer. Denn für die Chauffeure springt meist noch ein Wuhli qP so heißt die stadteigene Währung – als Trinkgeld heraus, zusätzlich zu den fünf Wuhlis Einheitslohn pro Stunde. Abzüglich wiederum einem Wuhli Steuer. So schreibt es das Stadtgesetz vor.

Der Lohn geht für Essen und Trinken drauf, für Lotto-Spielen, oder er wird auf dem Markt verprasst, wo die von den anderen Kindern gebastelten Dinge feilgeboten werden. Wer will, kann sein Geld zur Bank bringen. Dort sind die Wuhlis relativ sicher: Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres, als die Bank mehrmals ausgeraubt wurde, patrouilliert ein Wachschutz. Der konnte einen Überfall bereits erfolgreich verhindern. Das ist nötig, denn auf die Jagt nach den Räubern würde sich wohl niemand machen: Es gibt keine Polizei in FEZitty. Schließlich ist hier nicht alles wie in der Welt der Erwachsenen.

Kaum einer arbeitet jedoch allein des schnöden Mammons wegen. „Das ist ein richtiger Traumberuf“, sagt Kevin. Der Elfjährige ist Tontechniker beim Stadtfernsehen. Lässig sitzt er vor drei Monitoren und vier Schaltpulten für Licht, die Bluebox und einen Titelgenerator. Es ist gerade Pause, weil niemand vor laufender Kamera etwas singen will und die Nachrichten schon vorbei sind.

Roxy geht es ähnlich. Sie bastelt an einer Puppe in der Theaterfigurenwerkstatt. „Ich kann hier selber entscheiden, was ich machen will“, sagt die Elfjährige bestimmt. Die Puppe wird später auf dem Markt verkauft. Damit finanziert sich die Werkstatt.

Kevins und Roxys Arbeitsplätze sind in der Neustadt. Im Gegensatz zur Altstadt, wo die alteingesessenen Behörden sitzen, war hier bis vor wenigenTagen kein Stein auf dem anderen. Noch immer geht es zu wie auf einer Baustelle: MitarbeiterInnen des Bauhofs schleppen weiße Styroporsteine zum Hausbau, und die StadtgestalterInnen verzieren die Fasaden. An diesem Durcheinander soll sich so schnell nichts ändern. Schließlich gibt es die Hauptstadt der Kinder noch bis Anfang September, und keiner der HandwerkerInnen soll irgendwann überflüssig sein.

FEZitty findet zum zweiten Mal statt. „Sinn des Stadtspiels ist, dass Kinder Verantwortung übernehmen“, erläutert der erwachsene Projektleiter der Kinderstadt, Bernd Grospitz. „Wir FEZ-Pädagogen müssen mit ihren Entscheidungen leben, auch wenn wir sie nicht für gut befinden.“ Grospitz teilt die von einigen Pädagogen des FEZ und von manchen Eltern geäußerte Kritik nicht, dass in FEZitty den Kindern der „Kapitalismus in rosaroten Farben“ beigebracht wird. Man wolle „Stadtzusammenhänge erfahrbar machen“. Kinder würden dabei auch lernen, dass sie Rechte haben: „Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, können sie etwa zur Stadtverwaltung gehen“, so der Projektleiter.

Wer vollberechtigter Stadtbürger werden will, muss zudem an der Uni Vorlesungen besuchen. Etwa in der Literaturfakultät: „Wir schreiben hier Geschichten, lösen Rätsel aller Art und übersetzen in alten Berliner Dialekt“, nennt Dekan Konstantin als Arbeitsbereiche. Ihm steht noch eine weitere Herausforderung bevor. „Ich mache jetzt meinen Doktor“, erklärt der Zwölfjährige stolz. Dafür hält Konstantin einen Vortrag über Erich Kästner.

Nach je vier Stunden Arbeit und Studium sind die Kinder zu richtigen FEZittyanern geworden. Sie dürfen sich ins Goldene Buch eintragen, heiraten, abstimmen und sich zum Bürgermeister wählen lassen.

Und damit vielleicht irgendwann die Stelle von Matthias einnehmen. Bis dahin will sich der Schultes für die Demokratie in FEZitty einsetzen und ein Parlament einrichten. Will er wirklich selbst seine Macht beschneiden? „Um es mal wie Diepgen zu sagen: Ich versuche es“, sagt er routiniert. Ausgebufft eben.

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