: Mutantenstadl der Geschichte
Die britischen Künstler Dinos & Jake Chapman haben eine Skulptur mit Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts produziert. Im Herbst wird „Hell“ eingeweiht, schon jetzt sind großformatige Fotos des Modellbaus in den Berliner Kunst-Werken zu sehen
von HARALD FRICKE
Es ist das teuerste Kunstwerk in der Sammlung von Charles Saatchi. Ein unglaubliches Meisterstück, sagt der Londoner Galerist Jay Jopling, der die Arbeit an Saatchi verkauft hat. Es besitzt all die fantastischen Merkmale eines Hieronymus Bosch und könnte am Ende zu einer der wichtigsten Skulpturen unserer Zeit werden, schwärmt Max Wigram, der als Kurator an der Royal Academy of Arts angestellt ist. 500.000 britische Pfund hat Saatchi die über acht Quadratmeter große Swastika gekostet, auf der 5.000 bis ins Detail genau gestaltete Miniaturfiguren in zweieinhalb Jahren verbaut wurden. Im Herbst ist Premiere: Dann wird „Hell“, die neue Monumentalplastik von Dinos & Jake Chapman, in London gezeigt.
Seit Februar spekulieren englische Zeitungen über das Ausmaß des Horrors, den die beiden Chapman-Brüder für ihre Skulptur zusammen gebaut haben. Immerhin sollen sämtliche Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts in einem legolandähnlichen Ambiente dargestellt werden. Mal war davon die Rede, dass Stephen Hawking im Zentrum des Hakenkreuzes auf einem vulkanischen Berg sitzt; dann wieder sollte „Hell“ ähnlich wie ältere Chapman-Arbeiten direkt an Goyas Kriegsszenarien anknüpfen. Mindestens eine Abteilung der Hölle, so munkelte man beim Sunday Telegraph, würde als Orgie mit lauter Leichen dargestellt. Und ein anderes Kapitel soll den Holocaust zeigen, mit winzigen Gaskammern und KZs nach Art von Fallerhäuschen.
Als Vorgeschmack auf die Hölle haben die Berliner Kunst-Werke neun großformatige Fotos der Arbeit produzieren lassen. Norbert Schöner, sonst bei Prada für Werbestrecken zuständig, durfte im Atelier der Chapmans Aufnahmen von einzelnen Szenen aus dem Gruselkabinett machen. Die Präsentation der 2,16 x 1,78 Meter großen Abzüge in der hell strahlenden Kunsthalle rückt die Fotos in die Nähe zu Altargemälden. Offenbar ist das Erhabene wieder gefragt. Zumindest passen die aufgeblasenen Reproduktionen von Leichenhaufen und zerhackten Zinnsoldaten in SS-Uniform, die von vierköpfigen Skinhead-Mutationen kastriert oder anderweitig missbraucht werden, zur britischen Lust auf „Sensation“, auf Nazi-Trash und Sexploitation.
Für Dinos & Jake Chapman ist die Geschichte hinter den Bildern schnell erzählt: Weil die Nazis als erste Experimente mit Eugenik veranstaltet haben, werden sie in „Hell“ von der versammelten Mutantenschaft aus den Genlaboren des Dritten Reichs bestraft und vernichtet. Das ist der Menschenpark als B-Movie. Und damit die Wirkung auch stimmt, wurden für die von Klaus Biesenbach kuratierte Ausstellung noch drei weitere Künstler eingeladen, die sich mit der Zerstörung von Körpern beschäftigen: John Isaacs bildet anatomisch zerlegte Selbstporträts aus Wachs nach, weil er den „emotionalen ‚Kniefall‘ “ des Betrachters will; Erik Steinbrecher sammelt Fotos und Magazine mit Bildern von Knochenbrüchen, Verletzungen und anderen Deformationen; Thierry Fontaine schmiert sein Gesicht und seinen Oberkörper bis zur Unkenntlichkeit mit braunem Ton ein, weil er an die Magie im Bild seiner körperlichen „Mutationen“ glaubt. Insofern sind die Chapmans in ganz guter Gesellschaft.
Vor allem im obersten Stock der Kunst-Werke. Dort werden 83 Radierungen der Chapmans, die nach Goyas „Desastres de la guerra“ entstanden sind, den Originalen gegenübergestellt. Schließlich zählt Goya zu den Begründern eines Realismus, die sich nicht am Ideal einer übergeordneten Schönheit orientierte, sondern an der Hässlichkeit hier auf Erden abgearbeitet haben. Für britische Kunst wiederum ist die Ästhetik des Hässlichen seit gut zehn Jahren zum soliden Marketingfaktor geworden: Ob Damien Hirst mit seinen Tierkadavern, Richard Billinghams Fotos seiner Alkoholikerfamilie, Tracy Emins versiffte Bettlaken oder eben die Dinos-&-Jake-Monster – alles geschieht aus Liebe zum Leben, dessen Wahrheitsgehalt angeblich mit dem Grad der Kaputtheit wächst. Selbst Isaacs, der sein halb seziertes Skelett eben noch mit roter Ersatzflüssigkeit bestrichen hatte, trug zur Eröffnung eine Mütze mit der Aufschrift „I love real life“ auf dem Kopf.
Damit die historischen Bezüge in dem doch sehr schnelllebigen zeitgenössischen Kunstpop sichtbar werden, hat der Essener Sammler Olbricht, der neben Arbeiten von Isaacs auch eine ganze Reihe Chapmans besitzt, seinen Goya-Nachdruck aus der 2. Auflage von 1892 nach Berlin verliehen. Links hängen die Schrecken aus den Napoleonischen Kriegen, rechts antworten die Chapmans mit Splattermotiven, die sie im Stil einer Collage mit kulleräugigen Comicgesichtern und Malbuchvorlagen für Kleinkinder überlagern. Manchmal sind auch Cartoons für Erwachsene dabei: Auf einem der Blätter gibt es eine Kreuzigungsszene mit dem Hinweis „Oi Peter – I can see your house“. Das meiste spielt sich jedoch zwischen Vorschule, Heavy Metal und Schützengraben ab.
In dieser drastischen Häufung aus Elend und Zynismus liegen die Darstellungen von Dinos & Jake Chapman durchaus auf einer Linie mit Goya. Seine „Desastres“ zeigen zwar die Gräuel des Krieges, die Hälfte der Szenen besteht jedoch aus den Folgen, die der Kampf gegen Napoleons Truppen für die spanische Bevölkerung hatte. Während Goya neben Zerstückelungen und Vergewaltigungen soziale Katastrophen wie die Hungersnot 1811/12 in Madrid dokumentiert, gehen die Chapmans der Traumatisierung durch den Krieg nach. Die Malbücher, der Bombenhagel, das wird in ihren Radierungen zusammengedacht – als kindliche Erinnerungsspur auf dem Zeichenblock. Fast meint man, in den halb manischen, halb naiven und manchmal bloß wirr hingekrakelten Bildern so etwas wie Mitleid für das im Krieg beschädigte Kinderleben zu spüren. Diese Gefühlsnähe ist sehr ungewöhnlich für ein Künstlerduo, das mit „Fuckface“-Mädchenpuppen bekannt wurde, denen statt Nasen und Mündern ein Penis oder eine Vagina ins verstümmelte Gesicht montiert worden war.
Während die plumpen Schockobjekte der 90er-Jahre wie pubertierende Dalí-Fantasien aussahen, sind die „Desastres“-Adaptionen tatsächlich Abbilder für schwer fassbare Gewalt. Plötzlich ist die Inszenierung der Brutalität, mit der das Unbewusste und Verdrängte, auf das sich die beiden Briten in ihrer Kunst so oft beziehen und das in den Drucken Gestalt annimmt, nicht bloß ein Effekt, der dem Betrachter kalt entgegenlächelt. Viel mehr spiegelt sich in der unentwegten Abfolge mehr oder weniger fein gezeichneter Grausamkeit unmittelbar Angst wieder: vor einer Wirklichkeit nämlich, die einem trotz der ständigen Präsenz von Kriegsbildern im Fernsehen seltsam fremd und gleichgültig bleibt.
Auch darin gleichen sich die Vorgehensweisen: Schon Goya war sich darüber im Klaren, dass Bilder der Gewalt immer ambivalent und bei aller Abschreckung auf die Schaulust der Betrachter angewiesen sind. Wie aber lässt sich eine Trennlinie zwischen Betroffenheit und Voyeurismus ziehen? Um diesem Konflikt zu entgehen, setzte Goya auf Authentizität. Deshalb hat er seine Blätter als Zeugnis des Krieges deklariert und zum Beweis für die Echtheit des Dargestellten Sätze wie „Ich sah es“ unter die Bilder geschrieben. Zugleich ist seine Serie enorm narrativ angelegt: Das Drama führt vom Schlachtfeld zu den Leiden der Zivilbevölkerung und endet in einer Kritik an der Restauration, als Geistliche – von Goya mit Eselsköpfen dargestellt – nach dem Krieg wieder ihre Ämter aufnehmen konnten. Der Titel kommentiert das Ganze mit „Reigen der Scharlatane“. Für Goya lag die moralische Wirkung in diesem Kurzschluss aus Visualität und Rhetorik, darin war er den politischen Karikaturisten seiner Zeit sehr ähnlich.
Bei den Chapmans geht eine solche Option schon deshalb verloren, weil der Künstler nicht mehr der Einzige ist, der Bilder produziert. Tschetschenien, Kosovo – permanent sind Kriege auf Sendung. Kein Kunstwerk kann es mit der Aktualität elektronischer Medien aufnehmen, also bleibt nur die grelle Übersteigerung dessen, was man schon aus den Nachrichten kennt, oder irgendeine andere Originalität. Auf einer der letzten Radierungen der Serie findet sich im Durcheinander der Leiber solch ein trotziger Verweis auf die eigene Arbeit: „36 penises, 16 vaginas, 6 anuses: it must be a girl!“ Auf jeden Fall ist es ein Chapman. Zugleich macht das Statement noch einmal deutlich, dass der Weg des Bildes zum Betrachter eben auch von dessen Erwartungen an die Darstellung abhängt – dies ist Kunst und nicht Fernsehen! Das schafft allerdings neue Probleme: Das öffentliche Interesse richtet sich gerade bei den Chapmans nicht mehr auf ihre Arbeiten, sondern auf ihr Image als „Perverts“, wie sie der Guardian nennt, und darauf, wie sie dieses Image einlösen. Die britische Kunstwelt liebt sie nicht für ihre Haltung zu Krieg und Elend im 20. Jahrhundert, sondern wegen der expliziten Bilder.
Das gleiche Dilemma findet sich auch im Umgang mit „Hell“ wieder. Einerseits erkennt man bis ins Detail die kopierten Vorlagen aus der konkreten Kriegsberichterstattung – etwa die Massengräber und Leichenberge, die Sebastian Salgado in Ruanda fotografiert hat. Das ist ein Zeichen dafür, wie bewusst Dinos & Jake Chapman ihre Recherchen betreiben und mit welcher historischen Sorgfalt sie das Quellenmaterial einsetzen. Zum anderen passt der Holocaust in Form einer dumpfen Splatter-Fantasie haargenau ins Klischee von den Künstlern als Bad Brothers.
Man kann sich vorstellen, dass wegen „Hell“ im Herbst ein ähnlicher Skandal losbrechen wird wie bei „Sensation“. Damals war es das Bildnis der Kindermörderin Myra Hindley, mit dem die Royal Academy für sich Werbung machen konnte, obwohl doch ganz England das Foto der Frau kannte. Jetzt sind es die ebenso reichlich dokumentierten Verbrechen der Nazis, die der „Apocalypse“ betitelten Ausstellung entsprechenden Zulauf bringen sollen. Dass dieser Tabubruch als Modellbau im Heimwerkerstil daherkommt, sagt einiges über die Harmlosigkeit des Projekts. Es zeigt aber auch den Grad der Provokation, den Kunst noch erreichen kann, wenn nur das dazugehörige Image stimmt. Saatchi findet das von ihm so genannte „killer piece“ jedenfalls großartig.
Bis 10. 9., Kunst-Werke, Berlin
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