e-books, menschenopfer etc.: Stephen King ist ein Modernisierungsgewinner
Der Rachefeldzug
Damals, in den frühen 80er-Jahren, schrieb man ja noch Briefe. „Gentlemen“, wendet sich Carlos Detweiller zu Beginn von Stephen Kings neuem Roman „The Plant“ an den New Yorker Verlag Zenith House, „ich habe ein Buch geschrieben, das Sie möglicherweise veröffentlichen möchten. Es ist sehr gut. Es ist sehr gruselig und beruht von Anfang bis zum Ende auf wahren Tatsachen.“
Einer der Lektoren findet das immerhin so amüsant, dass er sich das Manuskript schicken lässt. Das mitgelieferte Fotomaterial ist tatsächlich ziemlich gruselig. Es zeigt ein Menschenopfer. Wahre Tatsachen? Das ist zu viel, selbst für einen New Yorker Lektor: „I wish I’d never even heard of Carlos Fucking Detweiller.“ Ende des ersten Kapitels.
Carlos Detweiller ist ein Psychopath, der seine privaten Gewaltexzesse offensichtlich gerne der Öffentlichkeit zeigen würde. Heute hätte er es da einfacher, er würde sie einfach ins Internet stellen – so wie Stephen King das Manuskript zu „The Plant“ eben auch nicht an seinen Verlag Simon & Schuster geschickt, sondern auf seine Homepage hochgeladen hat. Seit Montag kann man es unter www.stephenking.com lesen. Wer „The Plant“ mag, bezahlt einen Dollar, wer es nicht mag, lässt es, und sollten weniger als 75 Prozent der Leser nichts überweisen, wird Stephen King nicht weiterschreiben.
Sein letzter Roman, den der amerikanische Horror-Autor ebenfalls ins Internet gestellt hatte, wurde allein in den ersten 24 Stunden von 400.000 Lesern heruntergeladen. Sollte sich dieses Experiment wiederholen lassen, wäre King mittlerweile um 300.000 Dollar reicher. Und zwar er ganz allein. Die Veröffentlichung von „The Plant“ im Internet nimmt sich aus wie die Rache eines Bestseller-Autors an seinem Verlag: „Gemeinsam haben wir die Chance“, schreibt King, „zum schlimmsten Alptraum der Großverlage zu werden.“
Denn im Gegensatz zu Kings letztem Internetauftritt im März dieses Jahres, als sein Verlag an den Onlinegebühren für „Riding the Bullett“ mitverdienen durfte, ist Simon & Schuster diesmal außen vor. Im Verlag wird man sich ärgern und über das erste Kapitel nicht lachen können: Wish they’d never even heard of the f*** internet?
Simon & Schuster sind auf dem besten Weg, zu Modernisierungsverlierern zu werden. Gerade erst war der Verlag von einem anderem Autor abgestraft worden: Seth Godin, der Marketing-Bestseller schreibt, wollte sein neuestes Werk „Unleashing the Ideavirus“ von der ersten bis zur letzten Seite ins Internet stellen – nicht zuletzt, um eine seiner Werbestrategien zu beweisen. Simon & Schuster machte nicht mit, Godin zog sein Manuskript zurück und bietet es jetzt kostenlos unter www.ideavirus.com an. Ab September wird es im Eigenverlag als print on demand exklusiv bei vier amerikanischen Internetbuchhandlungen vertrieben. Godin geht davon aus, dass es sich gut verkaufen wird.
Stephen King und Seth Godin sind nicht die einzigen Autoren, die ihre Werke zum Download freigeben. Wer im neuen Robert Ludlum blättern möchte, kann das zum Beispiel auf den Seiten von www.Bookface.com tun, wo derzeit ein so genanntes online reading experiment stattfindet. Das Lesen am Bildschirm ist umsonst. Wer will, kann die Bücher natürlich aber auch direkt in den elektronischen Einkaufswagen klicken und bestellen.
Es sieht so aus, als würden am E-Publishing, dem „schlimmsten Alptraum der Großverlage“, vor allem die großen Internetbuchhandlungen verdienen. Denn auch wenn Jack Romanos, der Chef von Simon & Schuster, in einem Interview noch einen freundlichen Witz darüber gemacht hat, dass Stephen King demnächst vermutlich von Postsäcken voller Briefen mit Dollarnoten erschlagen würde: Die Zahlungsmodalitäten auf www.stephenking.com sind bargeldlos – und werden über die payment site von Amazon.com abgewickelt. There’s no business like E-Business. KOLJA MENSING
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