Exekutionen im Badezimmer

■ Die rümänische Schriftstellerin Aglaja Veteranyi las in Oldenburg aus ihrem Debütroman – eine autobiografische Reise

Kinderphantasien gehören auf den Index. Sie sind der reinste Horror. Und doch so gefühlslogisch, damit irgendwie poetisch. Erschreckend ehrlich jedenfalls erklärt die in Zürich lebende und aus Rumänien stammende Aglaja Veteranyi in ihrem Debütroman „Wa-rum das Kind in der Polenta kocht“ und begibt sich damit auf eine autobiographisch gefärbte Reise in die Kindheit eines Mädchens aus einer rumänischen Artistenfamilie. Sie las in der Kulturetage, als letzte Autorin der Reihe „Im Wort wohnen“, den Beitrag des Oldenburger Literaturbüros zum Kultursommer – mit deutschsprachigen Autoren nichtdeutscher Muttersprache.

Wie viele Auslande es wohl gibt und ob die Engel im Himmel Übersetzungen machen, das sind die Grundfragen im Leben der Ich-Erzählerin, deren Sprache naiv-derb Realität zerlegt. Vom Hühnerschlachten ist die Rede, verbotene Exekutionen in Hotelbadezimmern: „Nachts pinkel' ich ins Lavabo, da kommen die Hühner nicht wieder herauf“. Die Autorin nimmt konsequent den kindlichen Blickwinkel ein, was bisweilen etwas penetrant wirkt. Mit grausamer Ehrlichkeit wird hier der Horror offenbar, den Erwachsene Kindern gedankenlos zufügen, und deren Phantasie wird als Verarbeitungsstrategie sichtbar.

Denn da ist die Schwester verrückt geworden, „weil der Vater sie wie eine Tochter liebt“, und als die Mutter ihre Töchter in ein Heim gibt, soll Mama bitte schön auf der Stelle tot umfallen, denn „dann würden wir sie unter dem Fenster begraben. Und im Sommer würden die Erdbeeren nach meiner Mutter schmecken.“ Süße Rache, traurige Resignation. „Ich träume, dass meine Mutter stirbt. Sie hinterlässt mir eine Schachtel mit ihrem Herzschlag.“ Und der Schmerz, „ein Tier knabberte in meinem Bauch, es hatte mir schon die Beine weggefressen“.

Die kindliche Perspektive erlaubt der Autorin poetische Bilder zu finden, die in einer gängigen Romanform eher abgeschmackt und schwülstig wirken könnten, überladen jedenfalls. Doch der naive Witz fährt einem hier ein ums andere Mal unter die Haut, und das leise, feine Grauen schlüpft unbemerkt mit hinein. Die Sprache der Veteranyi beschreibt Suchbewegungen, denn „mein Land kenne ich nur vom Riechen. Es riecht wie das Essen meiner Mutter“. Verbildlicht wurde das literarische Wort in einer kleinen Performance – denn Aglaya Veteranyi ist auch Schauspielerin und mit Jens Nielsen als „Engelmaschine“ unterwegs.

An einem überlangen Tisch stehen sich ein Männer- und ein Frauenschuhpaar endwärts gegenüber. Ein Herr im Frack – also Jens Nielsen – balanciert im Mund einen Stab, mit dem Konservenbüchsen aufgepickt werden. Über einen geheimen Drahtmechanismus entleeren sie sich. Jedem Teller das Seine: Der Mama die Federn – Flausen im Kopf -, dem Papa die Polenta, der einen Tochter stopft der Torf der Manege das Maul. Auf dem letzten Teller summt ein Kreisel. Suchkreiselbewegungen der Worte, grausig amüsant bis redundant.

Marijke Gerwin

Die heutigen Termine des Oldenburger Kultursomers: Theatralische Schiller-Lesung mit Franziska Vondrlik (Schlossgarten, 18.30 Uhr); Latin-Time mit Rosanna & Zelia (Schlosshof, 21 Uhr) und die Premiere des Theaterstücks „Antigone“ (Trockendock der Brand-Werft, 21.15 Uhr). Info-Hotline: 0441/924 80 10