: Ungeist im Abrisswahn
betr.: „Schuld hat die Senatspolitik“, taz vom 19. 7. 00
[...] Wo liefen oder wo laufen sie denn, die Vertreter der PDS im Abgeordnetenhaus oder in der Bezirksversammlung Mitte, die dem Abriss des „Ahornblattes“ widersprochen haben? Welche parlamentarischen Initiativen zur Rettung dieses Baudenkmals der DDR-Moderne sind denn ergriffen worden? Mir sind auf die Schnelle jedenfalls keine Kleinen oder Großen Anfragen und schon recht keine Anträge zur Erhaltung dieses charakteristischen Schalen-Pavillons aus PDS-Kreisen bekannt geworden. [...] Dem stadtentwicklungspolitischen Sprecher jedenfalls ist künftig ein früheres Coming-out zu wünschen, damit er nicht die Abrissbilligungen seiner Partei- und Denkmalfreunde abwarten muss, ehe es ihm nach vollendeter Tat das Herz zerreißt. Auch in Sachen Stadtentwicklung und Denkmalpflege gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – oder eben die Abrissbirne.
Natürlich ist es ein Gebot der Fairness, die Denkmalverantwortung nicht einzelnen in die Schuhe zu schieben. Es war und ist eine Art Allparteienkoalition, die sich dem drohenden Abriss nicht entgegenstellen wollte und in seltener Einmütigkeit – sozusagen hierarchieübergreifend – sowohl auf Bezirksebene wie auf Landesebene den Denkmalverlust in Kauf nahm. Ausgeschert sind da allenfalls die Vertreter von Bündnis 90 / Die Grünen, die sich in der letzten Bezirksversammlung ganz couragiert der Stimme enthalten und überzeugend demonstriert haben, dass sie auf dem kommunalpolitischen Feld der Denkmalpflege nur noch das Terrain bearbeiten wollen, das ihnen die kulturpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, Antje Vollmer, zugedacht hat. Denkmalverdrossenes Kichern will die senatsunabhängige und staatsferne Studenteninitiative zur Rettung des Ahornblattes am Telefon vernommen haben, als sie den grünalternativen Vordenker Dieter Hoffmann-Axthelm zur Abschaffung der staatlichen Denkmalpflege um seine bürgerschaftliche oder zivilgesellschaftliche Unterstützung für ihr Anliegen angingen. Wer sich solche Denkmalberater hält, wird um ihre Wählergunst wohl buhlen müssen und sei es nur durch beredsames Schweigen oder eben politische Unentschiedenheit zum Denkmalfrevel.
Wenn nun, wie aus Staatskreisen verlautet, der Abriss des Ahornblattes nicht mehr zu vermeiden gewesen sei, weil das „Planwerk Innenstadt“ vom Abgeordnetenhaus zur Kenntnis genommen, ja vom Berliner Souverän zum Parlamentsbeschluss erhoben worden sei, dann wüsste man natürlich gerne rechtzeitig, über welche bestandsfeindlichen oder denkmalschädlichen Entwicklungen das Abgeordnetenhaus mit der Planwerksbehandlung noch entschieden hat, ob beispielsweise der Abriss des Schimmelpfeng-Hauses damit unausgesprochen auch schon eine beschlossene Sache ist. Da bleibt also für die bau- und stadtentwicklungspolitischen oder kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus noch manches aufzuklären und nachzufassen, damit sie im nächsten Denkmalkonflikt nicht erst wieder von der Abrissbirne in Schwung gebracht oder gar in Mitleidenschaft gezogen werden. MARION PETRA HUHN,
Vorstandsmitglied der Architektenkammer Berlin,
Mitglied im Landesdenkmalrat Berlin
Ungeist im Abrisswahn oder black out Berliner Stadtentwicklung und Denkmalpflege?
Die Reaktion der Verantwortlichen in Stadtpolitik und Verwaltung auf die massiven jüngsten Eingaben und Lösungsvorschläge zur Rettung des Ahornblattes sind Besorgnis erregend:
Das darin zum Ausdruck kommende Unverständnis für dieses kreative, originäre Zeichen der Freiheit der DDR-Moderne gegen Staatsbürokratie und Gleichschaltung, das fehlende Gespür für die message dieser kleinen und schlichten Stadtkrone für die roller blade generation, die Unkenntnis eines Symbols der Stadtwerdung und des Wiederaufbaus an der Wiege von Berlin und Cölln, die mangelnde Behutsamkeit im Umgang mit den Bauten der Nachkriegsmoderne im Herzen der Stadt, die Denkmalschändung auf der Spreeinsel im Umfeld des Weltkulturerbes – sind wir denn noch ganz bei Sinnen? Ist die Kulturstadt noch zu retten?
Breitet sich hier erneut der Ungeist der alten Hauptstadt aus, steht die Wiedergeburt von Flächensanierung und Kreuzberger Ausschabung an? Steht es um die Stadtfinanzen so schlecht, dass politische Zuhälterei angesagt ist? Und wer gebietet dem Einhalt, wer schützt die unantastbare Würde dieses Werkes der Baukunst, wenn nicht die verfassungsmäßige Institution der Denkmalpflege? Unglücklicherweise ist aber deren Abschaffung und Privatisierung gerade im Gerede. Und zur Unzeit sägt hier nun selbige auch noch an dem Ast, auf dem sie sitzt – ein klassischer black out, aus welchen vermeintlich „höheren Gründen“?
Was aber, wenn – wie hier geschehen – die vollzogene behördliche Abwägung, wenn die Preisgabe des Denkmalschutzes zugunsten eines Immobiliengeschäftes fehlerhaft oder gar rechtswidrig war? Das Berliner Denkmalrecht hat für diesen Fall keine Vorsorge getroffen. Es weist ausgerechnet hier empfindliche Lücken und Versäumnisse auf – deren Schließung sich der Gesetzgeber schleunigst befleißigen sollte. Anders als im Umwelt- und Naturschutz gibt es nämlich bis heute kein zeitgemäßes Klagerecht für Interessenvereinigungen und Verbände. Den privaten Belangen von Investor und Architekten sowie der Behördenwillkür sind also Tür und Tor geöffnet – wie hier am Verwertungsdruck der OFD, im ständigen Wechsel der Leitziele der Stadtentwicklung bis zum dämlichen Vorbescheid der Bezirksverwaltung für ein Hochhaus, das heute keiner mehr will, und dem Versagen des Denkmalschutzes schmerzlich nachzuempfinden.
Ist es ein Hoffnungsschimmer, dass beim Pressegespräch im Rathaus Baustadtrat, Architekt, Investor und Denkmalbehörde einsichtig den drohenden Verlust des Ahornblattes beklagen und sich einmütig vom geplanten Neubau distanzieren – auch wenn sie nicht daran denken, zur Verhinderung dieser new art of metropolitan design und Stadtverwertung ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten? Dies bleibt allein der Initiative, ihren Unterstützern und allen „Kulturschaffenden“ überlassen ! JÖRN DARGEL,
Mitglied des Vorstandes Deutscher Werkbund Berlin e.V.
Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen