: Er wäre so einfach zu töten
Am Wochenende lässt sich Venezuelas populistischer Präsident Hugo Chávez wieder wählen. Er hat die Armen hinter sich. Aber die entmachtete alte Elite werkelt schon am nächsten Putsch
von INGO MALCHER
Nach 18 Monaten an der Regierung in Venezuela fällt die Bilanz für Präsident Hugo Chávez ernüchternd aus. Wirtschaftlich steckt das Land in der Krise. Trotzdem sieht alles danach aus, als ob der demokratisch gewählte Caudillo die auch die nächsten Wahlen am Sonntag gewinnen wird. Fragt sich nur, wie lange er im Amt bleiben darf.
Sollte jemand seine Amtszeit ganz schnell beenden wollen, wäre Chávez eine einfache Zielscheibe. Seine Sicherheitsvorkehrungen sind gleich null, und glaubt man den Gerüchten, so ist er in permanenter Lebensgefahr. Wie soll sich auch einer schützen, der täglich auf Wahlveranstaltungen mit seiner olivgrünen Uniform in die Menge eintaucht und später auf einer Bühne davon redet, dass die Armen zu essen bekommen werden? Genau dann wäre der richtige Moment. „Ein Kamerad, ein Scharfschütze, meinte, dass es sehr einfach wäre, ihn zu erschießen, und das wäre dann das Ende des Problems“, sagt Luis García Morales, Kapitän der Streitkräfte, mittlerweile aus dem Militärdienst entlassen und im Gefängnis. In den Streitkräften rumort es.
García Morales ist kein Wichtigtuer, der einfach so daherredet. Er ist der Kopf einer verschworenen Soldatengruppe namens „Patriotische Junta“. Auf mehreren konspirativen Treffen haben sie darüber beraten, ob ein Attentat gegen Chávez Sinn machen würde. Aber sie kamen zu dem Schluss, dass sie damit „nur einen neuen Märtyrer geschaffen hätten“, so García Morales und verwarfen die Idee. Doch zu diesem Schluss kommen längst nicht alle. Eine andere bunte Truppe von Militärs beklagt sich ebenfalls über Chávez. Sie werfen ihm vor, er hätte die Streitkräfte für seine Zwecke missbraucht. Ihr Kopf Rafael Huizi Clavier klagt Chávez an, „eine kriminelle Handlung begangen zu haben, als er das Militär politisierte“. Und gegen einen Kriminellen darf man schon das Schwert erheben.
Chávez sollte also gewarnt sein. Er selbst putschte 1992 gemeinsam mit anderen Militärs gegen den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Perez und scheiterte dabei. Sein damaliger Verbündeter, Francisco Arias, ist heute sein stärkster Gegner. Arias ist am kommenden Sonntag der einzige ernst zu nehmende Gegenkandidat zu Chávez. Arias genießt die Unterstützung des politischen Establishments. Aber nur aus einem Grund: Er ist der einzige Gegner von Chávez, der übrig blieb. Die traditionellen Parteien Venezuelas sind untergegangen.
Bei den Wahlen geht es für Chávez ums Ganze. Vom Präsidenten über das Parlament, die Provinzregierungen bis zum Bürgermeister gilt es alle Amtsposten in Venezuela neu zu besetzen. Ende Mai waren diese Megawahlen in letzter Minute von einem Gericht gestoppt worden, weil ihre Sauberkeit angezweifelt wurde. Jetzt ist der Weg frei. Arias warnt: „Mit Chávez versinkt das Land in Anarchie und Totalitarismus.“
In Chávez’ bisheriger Regierungszeit ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, das ausländische Kapital wandert aus, die Mittelklasse hat erhebliche Einkommenseinbußen wegzustecken. Aber als ehemaliger Militär hat Chávez eins begriffen: Angriff ist die beste Verteidigung. Und so teilt er aus. Die Unternehmer? Eine korrupte Masse. Die Kirche? Soll sich nicht einmischen. Die Zeitungsverleger? Ein Lügenkartell. Die Politiker? Eine Bande von Dieben. Das kommt an.
Chávez hat das Land politischumgekrempelt. Er hat eine neue Verfassung eingeführt, die den armen Schichten viele Rechte einräumt. Seine Anhänger rekrutiert er dort. 80 Prozent aller Venezolaner gelten als arm. Ihnen geht es unter Chávez wie immer: schlecht. Aber sie kommen zumindest in seinen Reden vor, er verspricht sich für sie einzusetzen. „In zehn Jahren werden wir ein anderes Venezuela haben, ein schönes Venezuela“, prophezeit er. Aber wie? Er verspricht, die Einkommen gerechter zu verteilen, will weder Sozialismus noch Neoliberalismus. Also was?
Noch vor Ende des Jahres wird es einen Militärputsch geben, prophezeit Expräsident Carlos Andrés Perez. Auch der pensionierte General Fernando Ochoa Antich, ein Mann mit exzellenten Kontakten, teilt diese Ansicht: „Historisch gesehen werden Krisen wie die, die wir gerade durchleben, in Venezuela mit einem Staatsstreich gelöst.“
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