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Rot und gold, blau, blauer, braun

■ Nicht nur weil Weill in ist: Die Weill-Revue des Theater N.N. begeistert das Publikum im Altonaer Kulturbahnhof mit ihrer reduzierten Bühne, die Platz lässt füt viel Phantasie

Nichts ist zufällig, niemand unbeteiligt: nicht der Eisenträger-Feger, nicht der Gabelstaplerfahrer, der hupt, wenn ihm die Aufmerksamkeit der Zuschauer verloren zu gehen droht, und der Big Mac isst. Sie gehören genau so dazu wie die Aus-Dem-Fenster-Guckerin, die Biertrinker und der Mit-Dem-Hintern-Wackler im weißen Anzug. Aus dem wird plötzlich Kurt Weill, der Angeber, der über seine musikweltverändernde Dreigroschenoper lamentiert. Die anderen werden seine Zweifel, seine Angst, seine Einsamkeit. Und ehe die Zuschauer kapieren, dass hier niemand zufällig fegt, schlendert, hupt, sind sie schon mitten drin in Weill-Fieber ... die revue.

Die Produktion des Theater N.N. im Altonaer Kulturbahnhof kommt mit wenig Bühnenschnickschnack aus, weil ihre wichtigste Requisite die Phantasie ist: Mit nichts als Licht und verschiedenfarbigen Vorhängen beziehen die sieben Schauspieler die ganze Weite des stillgelegten Bahnhofs ein. „Und das Meer ist blau, so blau“ singen sie zur Überfahrt Kurt Weills nach Amerika und sitzen dabei auf einem Holzkarren. Einer schiebt, einer zieht den Wagen immer weiter von der Bühne, sie kommen dem Vorhang näher, der ganz weit hinten von der Decke hängt, so blau, so blau. Bis das Meer sie verschluckt.

Mitten in der Halle sitzt das Publikum an langen Holztischen, vor ihnen eine Bühne, daneben Klavier, Bass, Percussion. Stoffbahnen in rot und gold, blau, blauer, braun. Und ganz weit weg der Blick nach draußen. Mal fährt eine S-Bahn vorbei, mal rumpelt irgendwo ein Zug. Aber das ist draußen. Drinnen sind 20er, 30er und 40er Jahre. Zwischen Berlin und Hollywood, zwischen Ruhm und Krieg.

Natürlich ist der Haifisch dabei, der Zähne hat, natürlich auch Ma-ckie mit dem Messer. Weil Weill so in ist, dass beinahe jeden Tag Weill-Abend ist, muss sich schon etwas einfallen lassen, wer nicht nur auf ein „immer wieder schön“ setzt. Und genau das ist Regisseur Dieter Seidel und seinem Ensemble gelungen: Da sind nicht nur Gassenhauer, sondern auch die anderen Weill-Lieder und Texte aus seinen Briefen. Da ist die herausragende Stimme von Jan Kollmar, die wunderbare Szene mit Andreas Schäfer, in der er seinen Kumpel von der Nachtschicht begrüßt, und da singt Annic-Barbara Fenske, während die anderen sich um ihre Füße kringeln. Da ist Angelika Böttcher, die mit Luftballons in der Badewanne liegt und Mary-Adely Kaufmann, die auf ihrem Klavier den neunarmigen Leuchter tanzen läßt. Die hervorragenden Schauspieler sind ebenso hervorragende Sänger und die Inszenierung ist so reich, dass man am Ende eigentlich nur möchte, die Zugabe wäre der Auftakt und alles würde noch einmal von vorne beginnen. Sandra Wilsdorf

an den August-Wochenenden, jeweils freitags, samstags und sonntags, 20.30 Uhr, Theater N.N., Harkortstraße 81

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