: Die Logik der korsischen Bomben
Das Korsika-Abkommen, das der Inselregierung mehr Kompetenzen überträgt, geht vielen in Frankreich und auf der Insel zu weit. Die alten Gräben, die der bewaffnete Kampf der Nationalisten gerissen hat, sind noch längst nicht überwunden
aus Paris DOROTHEA HAHN
Das aufgeregte Reden über Korsika ist verstummt. Nachdem Frankreichs Premierminister Lionel Jospin einen scheinbar weitgehenden, aber in den Details nebulösen Zweistufenplan für Korsika vorgelegt hat; nachdem 46 der 51 Abgeordneten der Territorialversammlung in Ajaccio dem Projekt zugestimmt haben; nachdem der Innenminister in Paris deswegen seinen Rücktritt angedroht hat und nachdem der französische Staatspräsident huldvoll erklärt hat, Korsika brauche den Frieden und die Französische Republik die Einheit – nachdem all dies gesagt war, sind sämtliche beteiligten Herren im Urlaub.
Nur einige wenige sind nicht in Sommerpause gegangen: Die Freunde und Kollegen des am 6. Februar 1998 in Ajaccio auf offener Straße von Nationalisten ermordeten Präfekten Claude Erignac wollen nicht hinnehmen, dass ein nationalistischer Abgeordneter in der korsischen Territorialversammlung seine Solidarität mit den Mördern des Präfekten erklären darf. Die „Vereinigung der Präfekten und Spitzenbeamten“ und die „Vereinigung Erignac“ verlangen, dass politische und strafrechtliche Konsequenzen aus der „Apologie des Mordes“ gezogen werden.
Der Auslöser der Aufregung: Jean-Guy Talamoni, 40, ein mittelmäßiger Anwalt in Bastia und begnadeter Demagoge in Ajaccio und Paris, der an der Aushandlung des Stufenplans für Korsika beteiligt war, geriet in der Territorialversammlung in einen hämischen Siegestaumel. Als die Abgeordneten über den Stufenplan debattierten, erinnerte er an jene „Patriottu“, die „verfolgt werden und Familie und Arbeit verlassen mussten“. Ihnen „widmete“ er das Abkommen und ihnen erklärte er seine „unteilbare Solidarität“.
Für alle Korsika-Kenner war die Botschaft eindeutig: Talamoni hatte eine Hommage auf Yvan Colonna gesprochen, den mutmaßlichen Präfektenmörder, der sich bis heute auf der Insel versteckt. Zugleich hatte Talamoni implizit die alte Forderung der bewaffneten Nationalisten nach „Amnestie für alle Patrioten“ zurück auf den Tisch gebracht – Erpresser, Bombenleger und Mörder inklusive. Und er hatte außerdem signalisiert, dass seine Organisation „Corsica Nazione“, der „legale“ Arm der größten bewaffneten Nationalistentruppe, sich nicht mit dem gegenwärtigen Abkommen zufrieden geben wird.
Dabei geht der Inhalt des „Matignon-Abkommens“ weit über das für viele Franzosen – Kontinentale und Insulaner inklusive – akzeptable Maß hinaus. Der Zweistufenplan sieht vor, dass in einer ersten Phase alle bisherigen Ausnahmeregeln für Korsika verlängert werden – darunter die Freistellung von Erbschaftssteuern und die Freihandelszone. Gleichzeitig kann die Territorialversammlung weitere Ausnahmen verlangen, die allerdings von der französischen Nationalversammlung genehmigt werden müssen. Ab 2004 will Jospin Korsika auch eine institutionelle Neuordnung gewähren – vorausgesetzt, das Abkommen hatte bis dahin den gewünschten Erfolg und die dann in Paris machthabenden Politiker stimmen zu: Unter anderem sollen ab 2004 die bisher zwei korsischen Departements zusammengelegt und ein nicht genau definierter Teil an gesetzgeberischer Kompetenz von Paris nach Ajaccio übertragen werden. Als Gegenleistung verlangt Paris, dass auf der Insel ein „dauerhafter ziviler Friede“ Einkehr halte.
Auch die Mehrheit der Bewohner Korsikas hält die Übertragung gesetzgeberischer Gewalt nach Ajaccio für „gefährlich“. Zahlreiche andere Regionalisten und Autonomisten Frankreichs wittern angesichts des Korsika-Plans auch Möglichkeiten von Autonomiestatuten für ihre Regionen. Bei ihnen allerdings mischt sich der Optimismus mit Skepsis. Französisch-baskische Nationalisten, die seit Jahren mit politischen Mitteln für ein eigenes Departement mit dem Wort „baskisch“ im Namenszug kämpfen, stellen jetzt schon verbittert fest: Die Logik der korsischen Bomben hat gesiegt.
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