: Forscher warnen vor Aktionismus
Studie über rechtsextreme Einstellungen in Berlin und Brandenburg belegt Stagnation auf hohem Niveau. Wissenschaftler warnen: Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit braucht langen Atem, NPD-Verbot beseitigt rechte Einstellungen nicht
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
In die Debatte um den Rechtsextremismus in Berlin und Brandenburg schalteten sich gestern renommierte Parteienforscher ein. Die Deutsche Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft und das Otto-Stammer-Zentrum der FU stellten Teilergebnisse einer Studie zu Ausmaß und Ursachen rechtsextremer Einstellungen vor. Die Daten beruhen auf der Befragung von 1.850 Personen aus Berlin und Brandenburg im Mai und Juni dieses Jahres.
Danach verfügt jeder achte Berliner und jeder fünfte Brandenburger über ein rechtsextremes Weltbild. Damit seien fremdenfeindliche Einstellungen in Brandenburg anderthalb mal so verbreitet wie in Berlin, sagte der Parteienforscher Oskar Niedermayer. Im Vergleich zu einer Studie von vor zwei Jahren ergebe sich in Brandenburg ein geringer Anstieg.
Ein Großteil der vorgestellten Ergebnisse ist freilich nicht neu: Bei Personen mit rechtsextremem Weltbild ist die Akzeptanz gegenüber Gewalt in Bezug auf Ausländer deutlich höher als bei Personen ohne eine solche Einstellung; mit zunehmender wirtschaftlicher und politischer Unzufriedenheit nimmt die rechtsextreme Einstellung zu; Frauen neigen nicht weniger zu rechtsextremen Einstellungen als Männer; besonders untere soziale Schichten sind für rechtsextremes Gedankengut anfällig.
Niedermayer sprach von einer „unheiligen Allianz zwischen einer relativ kleinen Gruppe junger Leute , die sehr gewaltbereit sind, und dem Backing von einer großen Gruppe älterer Leute, die Gewalt nicht anwenden, aber mit ihrer Einstellung den Nährboden bilden“. Der Parteienforscher Richard Stöss beklagte außerdem die Schwierigkeiten solcher Umfragen: „Die Leute, die gewaltbereit sind, geben es nicht zu. Das tatsächliche Verhalten ist nicht abfragbar.“
Sowohl Niedermayer als auch Stöss betonten, dass bei Strategien gegen Rechtsextremismus drei Punkte beachtet werden müssten: Einstellungen, Organisationen und Gewalttaten. „Die jetzige Diskussion konzentriert sich unsinnigerweise auf ein NPD-Verbot“, kritisierte Niedermayer. „Damit kriegt man rechtsextremistische Einstellungen nicht weg.“ Die Tatsache, dass zwei Drittel der Bevölkerung mit der Demokratie nicht zufrieden seien, bezeichnete Stöss als „Wahnsinnspotential“, das als Ursache ausgeblendet werde. „Die Politik fragt nicht nach: Was machen wir falsch?“ Gänzlich unbeantwortet blieb die Frage nach der Prävention. „Ich wäre froh, ein Rezept zu haben“, sagte Niedermayer. Statt „blindem Aktionismus“ brauche es „einen langen Atem“.
Unterdessen teilte das brandenburgische Innenministerium mit, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im ersten Halbjahr auf 144 Delikte zurückgegangen sei. Im Vorjahreszeitraum waren es 165 Taten gewesen. Bei den fremdenfeindlich motivierten Delikten sei allerdings kein Rückgang zu verzeichnen. Ihre Zahl habe sich mit 64 Straftaten nicht verändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen