: Die New Economy hat ihren Streik
In den USA befinden sich rund 86.000 Mobilfunkarbeiter seit einer Woche im Arbeitskampf. Sie wollen Tarifverträge und gewerkschaftliche Mitbestimmung. Experten erwarten von dem Ergebnis eine Weichenstellung für die neue Wirtschaft
aus Washington PETER TAUTFEST
Seit einer Woche streiken zehntausende Beschäftigte des US-Kommunikationsunternehmens Verizon Communications dafür, dass auch die drahtlosen Dienste in die Tarifverträge einbezogen und somit zum Feld gewerkschaftlicher Mitbestimmung werden. Der Arbeitskampf wird mit einer Heftigkeit ausgetragen, die in Amerika seit dem UPS-Streik von 1997 nicht gesehen wurde.
Verizon hat eine Belohnung zur Ergreifung von Saboteuren ausgesetzt und beschuldigt die Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter (CWA), Leitungen durchgeschnitten und leitende Angestellte mit faulen Eiern und Feuerlöschern beworfen zu haben. Polizisten, die nahe dem Eingang zu Verizons Hauptquartier stationiert waren, wurden vom Dach des 41-stöckigen Gebäudes aus mit Vogelscheiße beworfen. Unklar ist, ob Streikende die Täter waren, oder ob es sich um Angehörige der Geschäftsleitung handelte, die Streikposten treffen wollten.
Verizon ist aus dem Zusammenschluss von Bell Atlantic, einem vorwiegend lokalen Telefondienst an Amerikas Ostküste, und der Telefongesellschaft GTE hervorgegangen. Am Streik beteiligt sind 86.000 Arbeiter und Angestellte, darunter 14.000 Elektriker, die von einer eigenen Gewerkschaft vertreten werden. Und es geht um drei ineinander verschlungene Probleme: die Folgen geografischer Ausweitung des Aktionsraums der neuen Gesellschaft, Outsourcing – das Thema der letzten großen Streiks in der Autoindustrie – und letztlich um die Zukunft der Gewerkschaften in der neuen High-Tech-Wirtschaft.
Die bisher stark regulierte Telekommunikationsindustrie war regional organisiert. Bell Atlantics Schwerpunktgebiet war die Ostküste, wo die Arbeiterschaft traditionell gut organisiert ist. Durch die Ehe mit GTE wird Verizon national agieren und sich vor allem auf den wachsenden Markt für drahtlose Telekommunikation stürzen. „Das ist so, wie wenn sich in Europa traditionell starke Gewerkschaften auf den gemeinsamen Markt einstellen müssen, wo nicht überall der gleiche Organisationsgrad herrscht,“ erklärt Steevie Silvia, Experte für Arbeitsrecht und Geschichte der amerikanischen Gewerkschaften an der Washingtoner American University. „Verizon konkurriert jetzt mit Kommunikationsanbietern aus dem Süden und Westen Amerikas, wo es andere Arbeitsgesetze und weniger gewerkschaftliche Organisation gibt.“ Um mithalten zu können, muss Verizon seinen Vorteil suchen.
„Wie dieser Streik ausgeht, wird auch international Konsequenzen haben“, so Silvia zur taz. „Schließlich geht es um den Weltmarkt.“ George Kohl, Sprecher der CWA, ist deswegen durchaus dafür, dass sich die Deutsche Telekom in den amerikanischen Telefonmarkt einkauft: „Die deutsche Industrie hat bessere Arbeitsbedingungen, und die deutschen Gewerkschaften haben mehr Rechte und bessere Positionen.“ Von diesen höheren Standards könnten letzten Endes auch die amerikanischen Gewerkschaften profitieren.
„Dieser Streik wird zeigen, ob die Gewerkschaften die Revolution der Kommunikationstechnologie überleben,“, sagt Charles Craver, Gewerkschaftsfachmann von der George Washington University. „Telefongesellschaften verlegen sich mehr und mehr auf den Ausbau ihres drahtlosen Netzes und auf das Anbieten von Internet-Connections.“
Während die eher traditionellen Aufgaben an kleinere Betriebe ausgelagert werden sollen, in denen die Belegschaften gewerkschaftlich nicht organisiert sind, waren Computerfachleute bisher eine Berufsgruppe, die ohne organisierte Interessenvertretung auszukommen glaubte. „Die Gewerkschaften müssen sich ganz neue Organisationsformen ausdenken“, so Craver.
Dass etwa die American Medical Association Ärzte organisieren wolle, sei ein Schritt in diese Richtung. Ganze Berufszweige wie die Angestellten im Banken- und Versicherungsbereich hätten die Gewerkschaften bisher jedoch ausgelassen. Immerhin unterstützt die CWA den Organisationsversuch von Angestellten bei Microsoft und deren Zulieferbetriebe im Großraum Seattle.
Den Grund für die Vehemenz, mit der der Streik bei Verizon ausgetragen wird, sieht Craver in der Frustration der amerikanischen Arbeiter. Während Löhne und Gehälter in den letzten Jahren um durchschnittlich knapp 3 Prozent gestiegen sind – kaum genug, um mit der Inflationsrate mitzuhalten –, erhöhten sich Aktienrenditen und Managergehälter um bis zu 400 Prozent.
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