: Anders als das Andere
Bislang galt Kunst aus nichtwestlichen Ländern als exotisch. Doch mit der Globalisierung hat sich eine neue Ikonographie gebildet: Die auf vier Städte verteilte Ausstellung „Continental Shift“ in der Euregio löst die Forderungen einer postkolonialen Kritik ein, alle Kulturen auch gleichwertig zu behandeln
von MAGDALENA KRÖNER
Wenn es darum ging, Kunst aus peripheren Regionen in einem Museum in Nordamerika oder Europa zu zeigen, vertrauten Kuratoren bislang gern auf den Zauber des Exotischen. Fremde Kulturen? Wunderbar, immer herein mit den Wilden in die gute Stube! Diese Ghettoisierung funktionierte bis in die 80er-Jahre hinein, als die Kritik angesichts der Freude an der Kunst so genannter Primitiver plötzlich misstrauisch wurde.
„Wer beansprucht Alterität?“, fragte etwa 1989 die Literaturwissenschaftlerin und Theoretikerin Gayatri Spivak, eine gebürtige Inderin. In ihrem Essay führt sie das Konzept einer „alternativen Geschichte“ als Antwort auf imperialistische Kulturmechanismen ein, die vor allem Mechanismen der Exklusion sind. Dies betrifft insbesondere die Marginalisierung außereuropäischer Kunst im Kontext einer postkolonialen, nach wie vor an der weißen „Hochkultur“ Nordamerikas und Europas orientierten Ausstellungspraxis.
Ziel einer zeitgemäßen Kunstrezeption, so Spivak, müsse es sein, diese Marginalisierung durch Appropriation aufzulösen. Spivak führt den Begriff der „Heterogenität als ambivalente Ressource“ in den Diskurs ein, und verwahrt sich mit diesem zugleich davor, das „Andere“ der Drittweltkultur als vermeintlich homogene Alternative zur „transnationalen Postmodernität“ zu etablieren.
Einer, der den Begriff des „Anderen“ bis heute gern im Munde führt, ist Ausstellungsmacher Jean-Hubert Martin, der exemplarisch für den kulturpolitischen Aufbruch zum „Anderen“ am Ende der 80er-Jahre stand. Im selben Jahr, in dem Spivak ihre Thesen formulierte, begann sich, angeführt von Martins Ausstellung „Les Magiciens de la Terre“ in Paris, außereuropäische Kunst ohne den Begriff des „Primitivismus“ in westlichen Kunsthallen zu etablieren. Die „Magiciens“ offenbarten sowohl das Potenzial als auch die Problematik einer am „Anderen“ orientierten Kulturproduktion. So kombinierte die Schau in bewusst offenem Gestus Kultgegenstände etwa aus Australien, stark politisierte afrikanische Gegenwartskunst und etablierte US-amerikanische und europäische Künstler, die auf irgendeine Weise als Träger von etwas Magischem gelesen wurden. Ebendies war die Crux der Ausstellung – „Magier der Erde“ konnte jeder irgendwie sein, wenn er sich unter den letztlich zu weit gefassten Begriff subsumieren ließ.
1996 führte die von Peter Weibel kuratierte Ausstellung „Inklusion: Exklusion“ den Begriff einer „hybriden“ Kunst wieder in die Debatte ein, die den Interessenkonflikt und die unterschiedlichen Zeichensysteme in einer Form neuer „Weltkunst“ (Weibel) synthetisieren sollte. Dieses Konzept bewegte sich nach wie vor im Rahmen einer Homogenität implizierenden Vorstellung von „Hochkultur“, wie sie noch Ende der 90er-Jahre in der Kölner Mammutschau „Kunstwelten im Dialog“ zu sehen war: In der schieren Fülle des kunsthistorisch bedeutsamen Materials von der klassischen Moderne bis zu brandaktueller Kunst aus Drittweltländern ging allerdings jeder Dialog unter.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends sind die Akteure weitgehend die gleichen geblieben: Theoretiker wie Spivak, Homi K. Bhabha oder Edward Said auf der einen und, wieder einmal, Jean-Hubert Martin auf der anderen Seite. In seinem jüngsten Projekt, der Biennale von Lyon, geht es ihm um „geteilte Exotismen“, und damit auch um die Suche nach dem Anderen in unserer eigenen Kultur. Dabei ist es erstaunlich, dass ein Großteil der Ausstellung von Martin für etablierte europäische und amerikanische Künstler bereitgestellt wird, die den unscharfen Begriff des Exotischen aufwendig illustrieren und sich auf einen rein assoziativen Zugang zum Thema beschränken. Zur Renaissance des Exotischen, vor dem auch gern wieder gestaunt werden darf, gesellt sich zudem die Suche nach einem, wie Martin es formuliert, „wirklich gültigen Interpretationsschema.“
Auf eine solche Zuschreibung verzichtet das ambitionierte Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt „Continental Shift“, das gegenwärtig an vier verschiedenen Orten in der Euregio stattfindet. Ausgehend von Aachen, das im Ludwig-Forum die umfangreichste Präsentation ausrichtet, geht es nach Heerlen, Maastricht, Lüttich. Ein international besetztes Kuratorenteam hat junge und zu weiten Teilen unbekannte, außereuropäische Künstler versammelt, von denen viele in Europa oder den USA leben. Damit umgeht man den Anfangsverdacht des Exotischen schon einmal. Der umfangreichen Präsentation gelingt vor allem die Balance zwischen opulenter Fülle und Konzentration – so ist der Spielraum, der den 82 Künstlern aus Japan, Korea, Lateinamerika, Nahem Osten, Afrika und China zur Verfügung steht, groß genug, um unterschiedliche Themen sichtbar zu machen, ohne in Beliebigkeit abzurutschen. Heterogenes, bitte!
Was man hier vor allem sieht, sind Recherchen in globalen Codes, die unterschiedliche Lesarten bereits implizieren. Die tröstliche Rückkehr ins Narrative sucht man vergebens; es bleibt allein der Verweis: auf die zynischen Erzählungen japanischer Comics, wie etwa in den Skulpturen Yoshitomo Naras oder dem ästhetisch an der Wand zerschellenden Helikopter Yun Hasegawas. Selbst im Kapitel „Naher Osten“, das eine traditionell westliche Zuordnung noch im Titel trägt, taucht das Althergebrachte nur in der Brechung auf. Die folkloristische und private Anmutung im Werk der in Dortmund lebenden Iranerin Farkondeh Shahroudi entlarvt sich als Fiktion – die Relikte ihres „mobilen Gartens“ erzählen eine erfundene Geschichte, auch die Farsi-ähnlichen Schriftzeichen sind Fantasieprodukte.
Die Entdeckung im ehemaligen angenehm improvisiert ausgestatteten Ladenlokal unweit der Heerlener Stadsgalerij ist der Iraner Karan Khorasani. Er arbeitet mit minimalistischen Zeichenfolgen, die er zum Teil aus der persischen Alltagsikonographie ableitet. Die Zeichen sind beweglich – aber ist es ihre Decodierung auch?
Die Auseinandersetzung mit einer allgegenwärtigen visuellen Lesbarkeit findet sich besonders in den afrikanischen Positionen wieder, die im Maastrichter Bonnefantenmuseum versammelt sind. Etwa auf Wandmalereien der in London lebenden Nigerianerin Mary Evans: In archaischen und zugleich hypermodernen Piktogrammen konfrontiert sie westliche und afrikanische Symbolik. Der in Düsseldorf lebende Kameruner Barthélémy Toguo zieht sich auf die reine Körperform als universellen Referenten zurück, da die Information über die üblichen Wege, wie etwa eine Tageszeitung, deren Schrift er sorgfältig ausgelöscht hat, nicht mehr funktioniert.
Wissen generiert sich über andere Kanäle, und das Wissen um die eigene Identität kann nicht mehr im System einer homologen Kultur erschlossen werden, da diese nicht existiert – und vielleicht immer schon nur als Argument der Geopolitik funktioniert hat. Die Künstler mit afrikanischen Wurzeln bieten die überzeugendsten Antworten und die entschiedenste Absage an die Verortung im „Anderen“. Das Heterogene, das Spivak forderte, hat sich längst als einzig gemeinsamer Nenner etabliert. Hier steht keine „ethnische“ Lesart mehr zur Verfügung, und auch die Behauptung der Marginalisierung, von der Spivak noch ausgehen musste, scheint in dieser Künstlergeneration obsolet.
„Continental Shift“, bis 10. 9., Ludwig-Forum Aachen, Bonnefantenmuseum Maastricht, Stadsgalerij – Dr. Poelstraat 21/23 Heerlen, Musée D'Art Moderne Lüttich. Mehr Infos unter: www.continentalshift.org
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