: Lakonik und Alltag
Hinter dem Unliterarischen seiner Texte steckte poetologisches Kalkül: Heute wäre der Klartext-Dichter Charles Bukowski 80 Jahre alt geworden
von FRANK SCHÄFER
Klartext also. Ein nachgerade anarchisches, formal undomestiziertes Erzählen, hart entlang der eigenen Biografie, denn nur hier ist so etwas wie Authentizität ja überhaupt zu haben. Er schreibt so, als säße er einem gegenüber und erzähle so nebenher eine Geschichte, die er gerade erlebt hat, nichts Großes, Weltbewegendes, einfach eine Geschichte, die er auch jederzeit abzubrechen bereit wäre, wenn etwa das Bier zur Neige geht und er dran ist, runter zum Kiosk zu laufen. Das Äußerste, was Bukowski sich und seinen Texten an literarischer Brechung zumutet, ist Sarkasmus und Ironie. Die hat er allerdings ganz gut im Griff: „Der Tod von Henrys Mutter machte keine Komplikationen. Nettes katholisches Begräbnis, wie es sich gehörte. Der Sarg blieb zu. Der Priester schwenkte ein paarmal sein Rauchfass, und damit hatte es sich. Henry ging von der Beerdigung aus direkt zum Rennplatz, erwischte einen guten Lauf und bandelte schließlich mit einer Chinesin an, die ihn mit auf ihr Zimmer nahm. Sie machte Steaks, und dann stiegen sie ins Bett.“
So sehen sie aus, die typischen Bukowski-Anfänge, die so unverstellt geradeaus und von einer Lakonie sind, dass der Leser auf die teilweise vernichtenden Urteile der Großkritik gerne pfeift – das sowieso! – und sich dann überlegt, ob das nicht doch auch ziemlich gekonnt ist. Vor allem tut das der adoleszente Leser, der transitorische Outcast, der Generation für Generation wieder in Bukowski den Leidensgenossen und das Musterbeispiel seiner eigenen gesellschaftlichen Randständigkeit erkennt. Bukowski selbst bediente „dieses Scheiß-Image, dieses Humphrey-Bogart-Image“, er lebte auch davon – und hasste es dennoch wie die Pest. Was er in erster Linie wollte, war, diese Realität, die Conditio humana, wie sie sich ihm darbot, ganz unverbrämt „zu Papier zu bringen, anstatt einfach nur Literatur zu machen“.
Was er nicht alles war, gewesen sein wollte oder doch von seinem ebenso kongenialen wie gewitzten Hauptübersetzer Carl Weissner, der Bukowskis grandiosen Erfolg in Deutschland erst richtig ankurbelte, als vormalige Tätigkeit zugeschrieben bekam: „Leichenwäscher, Tankwart, Werbetexter für ein Luxus-Bordell in New Orleans, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Sportreporter, Müllkutscher, Hafenarbeiter, Zuhälter, Birnenpflücker, Bremser bei der Eisenbahn, und schließlich . . . Briefsortierer in einem Postamt in downtown Los Angeles.“ Freier Schriftsteller nicht zu vergessen, jedenfalls seit den frühen 70ern, als ihm der x-te Lyrikband „Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“ und nicht zuletzt sein erster Roman „Post Office“ (deutsch: „Der Mann mit der Ledertasche“) so bekannt machten, dass ein bescheidenes Auskommen durch die Schreiberei nicht mehr völlig abwegig schien.
Ein ziemlicher Erfolg in diesem – wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was er davon zu berichten weiß – exzessiven und gebeutelten Leben, das sich sichtlich niederschlug in seiner Physis. Die hängenden Schultern. Die Bierwanne. Und dann dieses Gesicht. Selbst der hartgesottene Weissner zeigte sich beeindruckt bei ihrer ersten Begegnung vis-à-vis: „Shit, dachte ich, dagegen würde sogar Eddie Constantine vergeblich anstinken . . .“
Sichtbarer ist der Abdruck dieser, wie das so schön heißt, Underdog-Existenz nur noch in seiner Literatur: „In all den Jahren, die ich in Schlachthöfen und Tankstellen, an Fließbändern und in U-Bahn-Tunnels geschuftet habe, ist mein Vokabular auf einen letzten Rest zusammengeschrumpft, aber mit diesem Rest versuche ich rauszuhämmern, was nur drin ist.“ Dahinter steckt aber durchaus poetologisches Kalkül. Zumindest an einer Stelle, in den „Aufzeichnungen eines Außenseiters“, kann man dabei zusehen, wie sich dieses Kalkül plötzlich offenbart und dem „Dichter“ in die Parade fährt: „Ich ging zum Fenster meiner Zelle im 8. Stock. Ich knüllte die Zeitung zusammen, ich ballerte sie in die Gitterstäbe und boxte sie durch und sah ihr nach, wie sie durch die Luft fiel, und es sah aus, als hätte sie Flügel, na ja, scheiß drauf, sie flatterte runter wie jedes andere Stück Papier, runter ins Meer, diese weißen und blauen Wellen da unten . . .“
Bukowski fällt sich selbst ins Wort und nimmt die falsche Poetisierung der Situation wieder zurück, weil sie sich entfernt von dem, was passiert ist, die Unmittelbarkeit preisgibt. „Scheiß drauf“ – auf die Kunst nämlich.
Insofern haben die vielen (hauptsächlich universitären) Gegner Bukowskis schon auch Recht, wenn sie das Unliterarische seiner Texte hervorheben, nur muss man damit ja nicht unbedingt gleich ein Verdammungsurteil verbinden. Ob man diese Mischung aus bisweilen schon etwas arg degoutanter Misogynie, krudem Zynismus, Koprophilie, aber auch schrundiger Zärtlichkeit und tiefer Humanität mag oder nicht, auf alle Fälle ist der Sound dieser Rough 'n' tumble-Poesie so originell wie unverwechselbar. Und auch so suggestiv, dass ihn immer wieder junge Menschen als Initialzündung fürs eigene Schreiben erleben: „Ich mag Hunde lieber / als Menschen und / Katzen lieber als / Hunde und mich / am liebsten von allen, besoffen / in meiner Unterwäsche / aus dem Fenster schauend.“
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