Dampfende Fleischparaden

Horror, Softsex und flotte Teens im Nonnenkloster: Das Fantasy Filmfest widmet Jess Franco, dem großen Durchgeknallten des europäischen Autorenkinos, eine Hommage

Jess Franco – Triebtier oder agnostischer Maniac? Anthropologischer Unterleibskartograf des Fantastischen Films oder schmutzigster Visionär des europäischen Autorenkinos? Wenn es nach den unversöhnlichen Inquisitoren des katholischen Filmdienstes ginge, wäre die Akte „Franco“ bereits in den 60ern in die tiefsten Gruften des Vatikans verbannt worden. Zu oft prallten die Interessen aufeinander: Francos dampfende Fleischparaden, flotte Teens im Nonnenkloster und sado-erotische (und mitunter zutiefst religiöse) Fetischstimulanzen.

Für den 1930 als Sohn einer angesehenen spanischen Familie geborenen Jesús Franco Manero war das Filmemachen seit jeher eine multidimensionale Projektionsfläche geheimster Obsessionen und Fetischismen. Er ist nur sekundär ein Publikumsregisseur – in erster Linie interessiert Franco der Gewinn, den er selbst aus seinen Filmen zieht: während der Dreharbeiten. Genau das macht viele seiner Filme so schwer zugänglich.

Mit Faszination und lüsterner Abscheu steht man vor einem Sammelsurium an Freud’schen, Lacan’schen und de Sade’schen Zeichen, ohne Zutritt zu Francos bizarren Bilderwelten erlangen zu können. 170 Filme sollen es bis heute insgesamt sein, eine Zahl, die nicht ganz zu verifizieren ist, denn zu viele Pseudonyme (u. a. Frank Manero, Jess Franck, Clifford Brown, J. P. Johnson oder David Khunne) wurden in knapp 50 Jahren verschlissen.

Kaum ein Genre aus der Hochzeit des europäischen Exploitation-Kinos der 60er- und 70er-Jahre, in dem Franco nicht mindestens einmal Fuß fasste: Agentenfilme, Krimis, Frauengefängnisfilme, Horror, Softsex, Abenteuerfilme, selbst im Pornofilm hinterließ er seine unverwechselbaren Spuren. Wie Franco es auch anpackte, Sex stand immer im Mittelpunkt seines Interesses. Die Fantasie, die er zur Realisierung seiner Fantasien aufbrachte, war in jedem Fall von schlichter wie auch poetischer Geilheit. Mit dem psychedelisch aufgesexten „Necronomicon – Geträumte Sünden“ entstand 1967 Francos visuell aufregendster Film, den später sogar Fritz Lang als ein „wunderschönes Stück Kino“ bezeichnete. Die einladende Janine Reynaud spielt darin eine sadomasochistische Baroness, die sich in einem irisierenden Bilderrausch zwischen den Realitätsebenen verliert. Irgendwo passiert dann auch ein Mord.

Handlungsstringenz war Francos Sache nie. Wer sich auf seine Bilder, Farben und musikalischen Aphrodisiaka nicht einlassen kann, ist angesichts der logischen Brüche hoffnungslos verloren. Für Erwin C. Dietrich kurbelte er zwischen 1975 und 1977 Exploitation-Schnellschüsse von besonders niederen Reizen in Fließband-Produktion herunter, zum Teil sogar zwei Filme parallel im selben Set für verschiedene Produzenten, ohne dass es die Schauspieler oder Dietrich merkten.

Die große Ausnahme: der morbid-poetische „Jack the Ripper“ (1976), mit Klaus Kinski im Zenit seines Schaffens. Hier bewies Franco ein letztes Mal, das sein Herz nicht nur unterhalb der Gürtellinie schlug, sondern in den leuchtendsten Momenten auch direkt auf seiner Netzhaut (In vielen seiner Filme war er Regisseur und Kameramann in Personalunion, um die totale künstlerische Kontrolle nie aufgeben zu müssen).

In den 90ern ist es um Franco etwas ruhiger geworden. Seine Frau Lina Romay gehört allerdings immer noch zum festen Stamm seiner Schauspieler. Seit über 30 Jahren. Das ist das Schöne an Franco: Dieselbe Kontinuität, mit der er sich innerhalb seinen psychotopografischen Koordinaten selbst verwirklicht, durchzieht auch seine filmische Ästhetik. Wahrlich ein Regisseur, den man alle zehn Jahre wieder entdecken kann. ANDREAS BUSCHE

Hommage für Jess Franco beim Fantasy Filmfest, noch bis 23.8. im Royal Palast und Freiluftkino Friedrichshain