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Damenkriminalität online

Aufgedeckt: Untergrundtreiben von Handarbeitsbanden immer dreister – eine Aufnahme in mafiöse Vereinigung erfolgt meistens nur auf persönliche Empfehlung

Ein gewisser „Kalli“ sorgt sich um seine Mutter. „Sie hört und liest fast täglich Schreckensmeldungen über’s Internet“, verrät er am 5. Mai 2000 dem Gästebuch einer Webseite für Handarbeiten: „Da sie leidenschaftlich stickt, habe ich mir gedacht, ihr anhand Eurer schönen Website mal zu zeigen, dass das Internet nicht nur ein Tummelplatz für Kriminelle ist!“. Na, der wird sich wundern! Als wenn Kriminelle nicht auch Handarbeiten machten. Wir erinnern uns an das „Schweigen der Lämmer“: Da wollte sich der Mörder auch ein Kleid nähen. Aber das hat mit dem Internet eigentlich nichts zu tun.

Deshalb zurück zu Kalli und seiner Mutter. Aus den USA – woher sonst – kommen alarmierende Meldungen über kleine, alte Damen, die Stickmuster am Computer kopieren, einscannen, und per E-Mail tauschen. Wohlorganisiert, wohlgemerkt, mit reger Untergrundaktivität, wie die Los Angeles Times am 1. August 2000 berichtete („Is a Stitch Online a Crime?“). Selbstverständlich fehlt den Ladys das Unrechtsbewusstsein: „Ich tausche nur mit meinen Freundinnen und mit deren Freundinnen“, meint etwa eine sechsfache Mutter, die eine E-Mail-Tauschliste mit 350 Nadelfreundinnen betreibt: „Was ist denn schon groß dabei, wenn man sich gegenseitig weiterhilft und dabei auch noch ein bisschen Geld spart?“

Mittlerweile kommt man in diese Kreise nur noch aufgrund persönlicher Empfehlung, wenn man eine kennt, die eine kennt usw. und nachdem man dann – quasi als Initiation – probeweise ein Stickmuster zum „Tausch“ abgedrückt hat. Aufgedeckt hat das der Schattenmann des Stickmuster-Herstellers Pegasus Originals, der sich in diesen Tauschring einschlich und innerhalb weniger Tage so viel Stickmuster zugeschickt bekam, dass er seine E-Mail nicht mehr herunterladen konnte. „Sie sind Hausfrauen und sie sind Hacker“, schimpft der erwähnte Undercover-Agent, der zugleich auch Firmengründer von Stickmuster-Hersteller Pegasus Originals ist: „Es ist mir egal, ob sie Kinder haben. Es ist mir egal, ob es Großmütter sind. Sie bootleggen uns aus dem Geschäft.“

Jährlich würde er so 200.000 US-Dollar weniger Umsatz machen. Und – das kommt hinzu – auch die Stickmusterkünstler gehen dann leer aus, nagen bald am unbestickten Hungertuch. Am unerträglichsten aber, so alle Geschädigten, sei die Doppelmoral: Denn natürlich sind es kreuzbrave Motive, die da raubkopiert gedealt würden: Friedensengel, Valentins- und Muttertagsmotive etwa und gewiss auch Sprüche vom „Süßen Heim“, die sich nur wirklich schwarze Seelen ohne Gewissensbisse übers Sofa hängen oder an die Verwandtschaft verschenken könnten. Ganz Amerika fragt sich natürlich wieder einmal, wie es so weit kommen konnte. Und wir fragen uns, ob Kallis Mutter diesem kriminellen Sog wird widerstehen können. Deshalb sei ihr hier sozusagen als Warnung aufs Kopfkissen gestickt, lieber die Finger vom Internet zu lassen. Denn im Knast sind Handarbeiten nicht erlaubt, bekanntlich werden einem nicht nur Gürtel und Schnürsenkel, sondern sogar auch Nadel und Faden abgenommen. SÖNKE JAHN

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