Die neuen Menschenversuche im Reagenzglas

Beim therapeutischen Klonen werden nicht Lebewesen geklont, sondern ihre wertvollsten Zellen: die Stammzellen. Das klingt harmloser. Und nützlich soll es auch sein

BERLIN taz ■ Klonen ist ein Unwort, vor allem in Bezug auf den Menschen. Das wissen auch die Genforscher. Trotzdem lässt sich mit dem Klonen menschlicher Zellen nach allen Prognosen in Zukunft viel Geld verdienen. Der Begriff „therapeutisches Klonen“ soll nun helfen, die ethischen Bedenken von Öffentlichkeit und Gesetzgebern zu überwinden. Wer ist schon gegen Therapie?

Konkret wird beim therapeutischen Klonen nicht ein Wesen geklont, sondern nur seine gentechnisch wertvollsten Zellen, die Stammzellen. Diese Zellen bilden den Embryo, im Körper eines Erwachsenen sind sie äußerst selten und eventuell auch nicht mehr so flexibel wie bei Embryonen. Sie können sich zu jedem denkbaren Gewebe entwickeln – Gehirn, Knochen, Leber, Auge. Es ist eines der großen Geheimnisse der Natur, wie exakt die Stammzellen des Embryos gesteuert werden.

1998 gelang es Forscherteams aus den USA erstmals, Stammzellen im Labor zu isolieren und am Leben zu halten. Seitdem läuft die Forschung auf der nächsten Stufe: Wie gelingt es im Labor, die Differenzierung der Stammzellen zu steuern – das heißt, aus Embryozellen Muskeln, Haut oder was der Patient gerade braucht, zu züchten? Wenn das erst einmal beherrscht wird, kann theoretisch jedem geholfen werden: Man entnimmt einen beliebigen Zellkern aus dem Körper und verpflanzt ihn in eine fremde Stammzelle. Das entspricht der Technik, die die Schöpfer des Klonschafs Dolly 1997 angewandt haben. Der körpereigene Zellkern enthält das gesamte Erbmaterial und programmiert die fremde Stammzellenhülle um.

Aus dieser Stammzelle wächst das gewünschte Gewebe und weist exakt das gleiche Erbmaterial wie der Körper des Patienten auf. So dürfte das Immunsystem auszutricksen sein, die neuen Organe müssten dauerhaft angenommen werden. Bisher irreparable Schäden könnten „repariert“ werden – ein Billionenmarkt. Die Embryozellen werden aus Abtreibungen gewonnen oder aus überschüssigen Embryonen bei künstlichen Befruchtungen. Deshalb ist die gesetzliche Erlaubnis zur Embryonenforschung so wichtig für die Gentechniker.

Australische Forscher haben kürzlich bekannt gegeben, sie hätten bei Mäusen erstmals die komplette Kette im Labor durchführen können: Zellentnahmen, Verpflanzung in eine fremde Stammzelle, Züchtung verschiedener Gewebearten. Dies gelang jedoch nur bei einigen wenigen von mehreren hundert Versuchen. Bis es menschliche Organbanken gibt, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Und die Preise dürften für die meisten Menschen unbezahlbar sein.

Viel dringender dürfte die pharmazeutische Industrie auf die Embryozellen warten. Mit den jetzt schon im Prinzip vorhandenen differenzierten Stammzellen könnte sie Substanzen und ihre Wirkung auf verschiedenste menschliche Zellen testen – eine Art Menschenversuch im Reagenzglas. Reihenversuche zum Test potenzieller Medikamente wären denkbar.

Der Verwirklichung näher ist auch eine Kombination von Gentherapie und Klonen. Bei der Gentherapie werden, grob gesagt, einzelne Zellen oder nur Teile des Erbguts zumeist an die erkrankte Stelle im Körper gespritzt. Meistgenanntes Beispiel: die nicht mehr funktionierenden Gehirnzellen von Alzheimer- oder Parkinson-Patienten. Es ist also nicht die Zucht ganzer Organe nötig, sondern nur die einzelner Zellen. Diese sollen sich dann in den Körper einbauen und die Funktion der ausgefallenen Zellen übernehmen. Ob das funktioniert, ist allerdings noch unklar. REINER METZGER

Hintergrund (Industrie): www.lifescience.de; zu Stammzellen: www.nih.gov/news/stemcell/primer.htm; die australischen Mäusekloner: www.monash.edu.au; zu Bioethik: www.selbsthilfe-online.de/sonstiges/bioeth.shtml