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Anekdotische Soundscapes

Klappernde Loops und freie Beats in der Akademie der Künste: Der Komponist Luc Ferrari lässt die Wirklichkeit Geschichten erzählen. Mit musikalischen Landschaften zwischen Alltag und Fiktion

von BJÖRN GOTTSTEIN

Am Anfang konnte man darüber noch lächeln, dass ausgerechnet Karlheinz Stockhausen zum Paten des Techno ausgerufen wurde. Dass just jener Komponist, der sich verkrampft in eine genieästhetische Aura hüllt, die Popkultur um eines seiner wichtigsten Produktionskonzepte bereichert haben soll, zeugt von einer schlampigen Rezeption.

Vielleicht mangelte es der Musique concrète da einfach an Abgrenzungsstrategien. Vielleicht ließen sich die Tonbandschnipsel von Luc Ferrari, mit ihren Geräuschklängen und klappernden Loops, einfach zu leicht unter einen erweiterten Popmusikbegriff subsumieren. Zum Fixstern eines musikalischen Paralleluniversums hat man seine Stücke jedenfalls nicht erkoren. Ferrari ignorierte die ästhetischen Restriktionen, die der klassischen Musik der 60er-Jahre anhafteten. Als Musique-concrète-Bevollmächtigter zweiter Generation und als Leiter der renommierten Groupe de Recherches Musicales öffnete sich Ferrari bald innovativen Strömungen innerhalb der Popmusik und des Jazz. Werke wie „Tautologos“ und „Société“ setzten Rückkoppelungseffekte zwischen den Genres in Gang.

In den letzten Jahren haben Musiker wie John Zorn und David Grubbs (Gastr Del Sol) diese Leistung anerkannt und die Wiederveröffentlichung einiger seiner Stücke besorgt.

Dass die Akademie der Künste den 1929 geborenen Komponisten morgen mit einem Porträtkonzert ehrt, kann das schiefe Bild nur richten helfen. Im Gespräch bekräftigt der immerhin 71-jährige Komponist, dass er gegenwärtig vor allem die Entwicklung des Techno mit Interesse verfolge.

Beat gegen Rhythmus

Ferrari hat im Groove schon immer etwas anderes erkannt als die schlichte Rückkehr zu einem fixen Metrum. „In den 60er- und 70er-Jahren habe ich ganz selbstverständlich mit Musikern zusammengearbeitet, die vom Jazz und vom Pop kamen. Und da war ich als Komponist zeitgenössischer klassischer Musik vielleicht wirklich einer der ersten, der den Beat als etwas Neues aufgriff. Die postserielle Musik hat einfach kein Verständnis für Rhythmus gefunden.“

Eines der beiden Stücke, das am Samstagabend zu hören sein wird, „Cellule 75“, spielt mit den Bedeutungen von Beat und Rhythmus. „Es ist ein Stück, das den libertären Geist der 70er-Jahre atmet. Es hat viel mit Lust zu tun. Auch mit der Lust daran, verschiedene Stile zu kombinieren: Neue Musik, Pop und Jazz. Es gibt darin aber auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Denn der Rhythmus kann ein von der Gesellschaft auferlegter Rhythmus sein.“ Die Tonbandspur enthält dann auch vornehmlich Maschinengeräusche, so das dumpfe Scheppern einer Schafmelkmaschine. Pianist und Schlagzeuger hingegen agieren frei, konterkarieren das maschinelle Hämmern mit fließenden Patterns.

Zu Ruhm gelangte Ferrari in den 60er-Jahren vor allem mit seinen Soundscapes. Seine musikalischen Landschaften initiierten eine Klangkunst, die Geräusche nicht länger nur als eine originelle musikalische Quelle verwendete. Ferarri erkannte, dass die Geräusche des Alltags Geschichten erzählen, wenn man sie als Komponist nur lässt.

Das Anekdotische in Stücken wie „Hétérozygote“, „Music Promenade“ oder den „Presque rien“ erschloss der Musik erstmals Kategorien wie Realismus und Fiktionalität. „Die Soundscapes waren nicht nur für mich etwas Neues, sondern auch für die Musik. Plötzlich hatte die Realität einen festen Platz in der Musik. Und aus musikalischer Sicht erwies sie sich als völlig ausreichend. Ich fühlte mich wie die Maler, die 50 Jahre nach der abstrakten Malerei den Hyperrealismus entwickelten. Später habe ich mein Konzept ausgebaut. Ich habe Träume und Alpträume inszeniert, in denen die Bilder aneinander zerbrechen.“

Spielhalle auf Band

„Porte ouverte“, das zweite Werk des morgigen Konzerts, arbeitet mit einem solchen Soundscape. Das Band enthält Geräusche, die während eines Köln-Aufenthaltes aufgezeichnet wurden. „Es gibt dort zwei Arten von Geräuschen: Radiogeräusche, die wie Stichproben aufgenommen wurden, und Geräusche der Stadt, die einem entgegenschlagen, als würde man eine Tür öffnen: das konnte jemand auf der Straße sein oder die Geräusche in einer Spielhalle. Die Instrumente auf der Bühne haben keinerlei Beziehung zum Band. Manchmal stören die Instrumente das Band oder umgekehrt. Es sind einander fremde Welten. Und auch für mich sind es immer fremde Welten geblieben.“

„Lange Nacht der elektronischen Musik“, heute und morgen, jeweils um 18 Uhr, in der Akademie der Künste, Tiergarten. Heute ist u. a. das Schweizerische Zentrum für Computermusik zu Gast. Morgen dann die Werke von Luc Ferrari und aus den Studios Rom und Mailand. Um 18 Uhr stellt sich Luc Ferrari im Gespräch.

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