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Engel mit Handwagen

Zwei Bonbons, 100 Kilogramm Briefe und Treppen, Treppen, Treppen: Auf Tour mit einem Blankeneser Briefträger  ■ Von Birgit Wärnke

Zwei Bonbons liegen auf dem Briefkasten in einem Hausflur. Hans Joachim Engel steckt sie ein: „Die alten Leute sind beleidigt, wenn ich sie nicht wegnehme.“ Jo Engel ist bereits gute zwei Stunden unterwegs. Morgens um 10 Uhr in Blankenese.

„Die Vorbesitzer des Hauses sagten, das Haus lohne sich zu kaufen allein wegen des Postboten“, erzählt Christine Elling, der Engel gerade einen Brief in die Hand drückt. Seit 33 Jahren ist der 47-Jährige bei der Post. Fünf Tage die Woche steigt Engel treppauf und treppab, fast 2000 Treppen täglich. Morgens um 6 Uhr beginnt sein Arbeitstag im Postzentrum an der Blankeneser Hauptstraße. Engel lädt die Postwagen aus, bevor er die Sendungen für seine knapp 500 Haushalte sortiert. Kaum hat der Zusteller den Handkarren mit 100 bis 200 Kilogramm Briefen, Postkarten und Zeitungen beladen, startet er auf seine 12 Kilometer lange Treppentour durch das noch halb verschlafene Blankenese.

„Ich bin ja alles – Psychologe und Altenbetreuer“, erzählt der Postbote. Er trägt Müllsäcke zur Hauptstraße, hat immer ein offenes Ohr für Probleme und schaut nach dem Rechten, wenn seine Kunden im Urlaub sind. Besonders die alten Leute schätzen seinen Kundenservice sehr und nutzen die Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Briefträger zu wechseln.

„Was macht man nicht alles für seine Schäfchen“, erzählt Engel. Er kennt jeden Pfad, selbst die verwinkeltsten Ecken sind für ihn kein Geheimnis. „Broers Treppe“, „Strandtreppe“ „Bauers Weg“ oder „Grube“ sind nur einige der Stiegen, deren Höhenunterschiede Engel bewältigt. „Unheimlich schön hier ist das Idyllische – die Ruhe“, sagt er und deutet auf den Blick über die Elbe zur Süders Werft.

Die hohe Luftfeuchtigkeit bringt den Postboten ein wenig ins Schwitzen. Eine Flasche Wasser und ein Handtuch gehören zu seinen Arbeitsutensilien. Engel liebt seine Arbeit als Zusteller: „Es bringt mir Spaß, mit Leuten zu sprechen, und ich kann mir meine Zeit für die Tour selbst einteilen.“ Der im Harz geborene Engel wohnt nicht in Blankenese, sondern schon lange in Altona. Blankenese ist ein teures Pflaster.

Beide Stadtteile wurden zusammen mit Altona erst 1938 in Hamburg eingemeindet. Am Blankeneser Elbhang bauten sich im 19. Jahrhundert reiche Hamburger Kaufleute ihre Villen. Heute wirkt der reichste Stadtteil Hamburgs, der sich 14 Kilometer westlich vom Stadtkern befindet, fast dörflich. Keine Spur vom Großstadtstress. „Hier wird noch richtig viel geschrieben, besonders zu Weihnachten“, so Engel, der viele seiner Kunden persönlich kennt. Er hält hier einen Schnack und dort, winkt dem Busfahrer der „Bergziege“ zu, grüßt jeden mit ein paar netten Worten: „Ich habe schon lange mit den Kunden Kontakt, es ist hier wie in einer kleinen Familie“. Seine Tour dauert 3 bis 5 Stunden, an Donnerstagen und Freitagen ist meist mehr zu tun.

Beim Architekturbüro Bielenberg legt Engel eine kurze Pause ein: Es gibt Kaffee. Das Ehepaar Bielenberg plaudert über ihren Postboten: „Der Nachname kommt nicht von ungefähr. Bei Wind und Regen ist Engel immer freundlich und hilfsbereit. Er nimmt –mal einen Brief mit, klebt vergessene Briefmarken rauf oder weckt uns, wenn wir verschlafen haben. Er macht seinen Job gut und gern, das Gefühl hat man.“

Die letzten Stufen der Tour nimmt Engel in Angriff: Der „Steile Weg“ - wirkt von unten wie eine Treppe ohne Ende. So richtig aus der Puste ist das „Engelchen von Blankenese“ selbst am Ende der Tour nicht. Vergangenes Jahr konnte er sein 25jähriges Blankeneser-Treppen-Jubiläum feiern: 13 Millionen Treppen, 97 500 Kilometer.

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