: Kleinlaut und nett
Trainer Otto Rehhagel ist nach dem 0:4 der Lauterer in Wolfsburg und dem Saison-Fehlstart nicht mehr der Alte
WOLFSBURG taz ■ Der Mann da vorn auf dem Podium sah aus wie Otto Rehhagel. Er sprach auch wie Otto Rehhagel. Und auf dem Schild vor ihm stand sogar Otto Rehhagel. Aber es war nicht Otto Rehhagel. Jedenfalls nicht der Otto Rehhagel, den man kennt. Auf der Pressekonferenz nach dem Bundesligaspiel des 1. FC Kaiserslautern in Wolfsburg wirkte König Otto wie ein Bettelmann.
Immer kritischer wurden die Fragen der Journalisten nach dem 0:4 der Pfälzer in der VW-Stadt. Aber der sonst so bissige Coach des FCK biss diesmal nicht zurück. Keinen Fragesteller ging er in der bei ihm so gefürchteten Art an, nicht einmal direkte Kritik („Muss der Trainer nicht eingreifen, wenn die Mannschaft zu oft auf Abseits spielt?“) weckte Kampfeslust.
Nein, da vorne saß ein geprügelter Hund, der nach dem Fehlstart seiner Mannschaft – kein Tor und kein Punkt aus zwei Spielen – bestenfalls noch tief in seine Banalitätenschublade greifen konnte: „Wer verliert, hat keine Punkte, wer gewinnt, hat die Punkte.“ Als er dazu die Augen weit aufriss, war für Sekundenbruchteile der alte Otto Rehhagel zu erkennen. Ansonsten kam er nicht einmal aus sich heraus, als ihm ein Fragesteller „Ratlosigkeit“ attestierte. Ein Otto in Topform hätte so einen naseweisen Jungspund vom Fernsehen gnadenlos abgekanzelt.
Aber von Bestform war Rehhagel am Samstag ebenso weit entfernt wie seine Mannschaft. Hany Ramzys früher Platzverweis hatte das Team geschwächt, der VfL Wolfsburg nutzte seine Überzahl aus. Andrzej Juskowiak erzielte den ersten Bundesliga-Dreierpack seiner Karriere, Jürgen Rische traf gegen seinen Ex-Verein. Gegenwehr? Wenig. Nun, nach nur zwei Spieltagen, steht der Trainer in Frage. „Einige, die schon immer gegen den Trainer waren, werden jetzt Aufwind bekommen“, orakelte Martin Wagner, einer von fünf Ex-Lauterern beim VfL. Er spielte noch in der vergangenen Saison beim FCK, schied nicht gerade im Frieden von Rehhagel und ahnt: „Der Betze wird brennen.“
Was das heißen kann, erlebten Mannschaft und Trainer schon am Samstag bei der Abfahrt in Wolfsburg. Viele der rund 500 mitgereisten Fans hatten sich vor der Busausfahrt des Stadions versammelt, schrien „Otto raus!“, „Wir sind Lauterer und ihr nicht!“ und „Scheiß-Millionäre“. Was man halt so ruft, wenn einem alles stinkt.
Beim FCK stinkt vieles. „So kann es nicht weitergehen. Das war ein klassischer Fehlstart. Es darf bei Lippenbekenntnissen nicht bleiben. Wir müssen ab sofort gewinnen“, erkannte Vereinschef Jürgen Friedrich. Aber die mangelnde Einstellung der Mannschaft und die fehlende Kampfeslust des Trainers sind nicht die einzigen Probleme. Auch der Teamgeist bröckelt. Ramzy etwa wurde nicht getröstet, sondern bekam Prügel aus den eigenen Reihen.
„Die Fouls von Hany waren vollkommen schwachsinnig und sind nicht zu entschuldigen“, meinte Mario Basler, immerhin einer der wenigen, die sich nach Abpfiff in die FCK-Kurve getraut hatten. Auch Rehhagel stellte den Ägypter an den Pranger: „So etwas darf einem erfahrenen Profi nicht passieren. Wir haben uns durch Dummheit selbst geschlagen.“
Auf Wolfsburger Seite gab es vor allem Mitleid, besonders von den VfL-Spielern, die einst das Lauterer Trikot trugen. Zwischen der 66. und der 71. Minuten standen mit Wagner, Jürgen Rische, Thomas Hengen, Claus Reitmaier und Frank Greiner sogar alle fünf gleichzeitig auf dem Platz. „Das tut mir leid für die Jungs, da fühle ich noch richtig mit“, erklärte Martin Wagner. Wir erinnern uns an einen alten Rehhagel-Satz: „Neid muss man sich verdienen, Mitleid kriegt man geschenkt.“
Es ist in der Bundesliga modern geworden, dass Trainer an ihrer Arbeitskleidung Kurzzeichen tragen. Wo bei Spielern auf den Trainingsanzügen die Nummer prangt, steht bei Wolfsburgs Coach Wolfgang Wolf zum Beispiel ein knappes „Tr“ für Trainer. Das ist praktisch, weil der Anzug wieder verwendet werden kann, wenn mal ein Neuer kommt. Auf Otto Rehhagels Anzug steht „OR“. Das könnte etwas voreilig gewesen sein.
ANDREAS PAHLMANN
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