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: HELMUT HÖGE über Entschädigung

Angesichts anhaltender deutscher Dummdreistigkeit

„Au pair“ heißt „ohne Bezahlung“, es ist neben der „Praktikantin“, die ebenfalls kostenlos arbeitet, zur Basis eines neudeutschen Unternehmertums geworden. Millionen Mittelschichtler haben die Zeichen der New Economy erkannt und sind strebsam geworden. Die Folge: Kinder, Küche, Katzen.

Caravan – kurzum: die Lebensqualität – wird vernachlässigt. Infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion können sie jedoch – wie schon einmal während der Nazizeit – auf polnische Putzfrauen, ukrainische, slowakische und tschechische Aupairmädchen zurückgreifen: das heißt selber Ausbeuter spielen.

Damals warb die deutsche Besatzungsmacht zunächst mit Plakaten und Flugblättern um jugendliche Arbeitskräfte in Osteuropa: „Kommt zur Arbeit ins Reich – lernt in sauberen Fabriken an den modernsten Maschinen Europas.“ Hightech-Land Germany! Es kamen nur einige wenige Verrückte, und die berichteten schnell zurück: „Alles Lüge! Wir sind hier Sklaven in Deutschland.“ Daraufhin wurden überall in den Kreisstädten deutsche „Arbeitsämter“ eingerichtet und Sonderkommandos zusammengestellt, die die Jugendlichen – in Weißrussland, Ukraine und Polen – zusammentrieben und in Waggons ins Reich schafften, wo man sie in Lagern einsperrte. Dort konnten sich dann die deutschen Journalisten, Hausfrauen, Bauern, Ladenbesitzer und Kleinunternehmer ihre ganz persönlichen Sklaven aussuchen. In ihren Briefen nach Hause durften diese nur Positives schreiben: spezielle Postbeamte mit Russischkenntnissen sortierten die Briefe vor.

Ein Bericht aus Krasnodar im Donezbecken – Sommer 1942: „Düster mutete die Menge von Frauen, Mädchen und halbwüchsigen Jungen an, die unbeweglich und schweigend dastanden, wie versteinert in ihrem Schmerz ... Oberleutnant Sprick, der Leiter des Arbeitsamtes, begriff, dass die jungen Leute bei ihren Angehörigen hinter der Postenkette stehen bleiben würden, wenn man sie nicht antrieb ... Der Soldat drehte sich um und schrie plötzlich wütend auf eine blonde junge Frau ein, die mit bloßem Kopf dastand und ihren etwa 16-jährigen Sohn nicht von sich lassen konnte. Schließlich machte sie sich von dem Jungen los, und es zeigte sich, dass nicht er weggeschickt wurde, sondern sie.“

Ich konnte jetzt – im Sommer 2000 – eine in doppelter Hinsicht umgedrehte Szene miterleben: Die 28-jährige Helena aus Odessa, die als Prostituierte im Tutti an der Schönhauser Allee arbeitet, das gerade umgebaut wird, hatte ihre Tochter Ljuba, die in Odessa lebt und zur Schule geht, in den Ferien zu sich eingeladen. Sie sollte und wollte ab Herbst hier bei ihr hier leben. Helena ist in Berlin verheiratet – es handelte sich also um eine Familienzusammenführung. Mutter und Tochter klapperten die Ämter ab. Schließlich, am 28. Juli, bekamen sie den Bescheid, dass Ljuba, die im September 16 wird, zu alt sei: Die Mutter hätte kein Recht mehr auf eine Zusammenführung.

Weinend verabschiedeten sich die beiden voneinander auf dem Bahnsteig in Lichtenberg. Seit ihre Tochter weggefahren ist, trinkt Helena. Ihre Freundin in Odessa, bei der die Tochter wohnt, versprach ihr, sich darum zu bemühen, dass Ljuba im nächsten Jahr als Aupairmädchen“ nach Deutschland kommen kann.

Mich fragte Helena, ob ich eine Idee dazu hätte. Es gibt keine deutschen Arbeitsämter mehr in der Ukraine. Viele von ihnen wurden bereits vor der Befreiung durch die Rote Armee von Partisanen in die Luft gesprengt. Das waren zumeist junge Leute, die – um der Zwangsarbeit in Deutschland zu entkommen – in den Untergrund gegangen waren.

Nach dem Krieg gab es nur noch einmal in der Türkei solche Ämter: Sie suchten junge Frauen – als Arbeitskräfte für die Fabriken von AEG und Siemens in der Bundesrepublik Deutschland. Deren Situation war mit der der Ostarbeiter im Dritten Reich kaum noch zu vergleichen, sie war jedoch auch noch schrecklich genug. Man lese dazu die wunderbaren Bücher der einst mit einem „AEG-Zug“ nach Westberlin gekommenen Emine Söfgen Özdamar.

Schließlich fand ich aber doch was: Der Tagesspiegel veröffentlichte eine Seite über das Kiewer Au-Pair-Institut East-West: Es „bereitet die Mädchen auf den Aufenthalt in Deutschland vor. Viele haben zu Hause noch nicht gelernt, mit Messer und Gabel zu essen ...“ In diesem Ton war der gesamte Bericht gehalten. Der Tagesspiegel, der regelmäßig Renee Zuckers Gespräche mit ihrer polnischen Putzfrau veröffentlicht, hat seine Hauptleserschar in Steglitz, Wilmersdorf und Zehlendorf – und die halten sich noch immer der ukrainischen Kultur gegenüber für haushoch überlegen. Auch der türkischen: Weswegen sie es sich unlängst heftig verbaten, von einer türkischen Journalistin mit „Türkisch für Deutsche“ belästigt zu werden. Es hilft nichts: Man muss diese ganzen Tagesspiegel-Leser als Au-Pair-Omas und -Opas nach Kiew deportieren! Einen anderen „Wiedergutmachungs“-Weg gibt es nicht.