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Betr.: „Gurken gegen rechts“, taz hamburg vom 21.8.2000
Unerträglich
Offener Brief an den Innensenator von Hamburg, Herrn Hartmuth Wrocklage
(...) Als Teilnehmerin der Versammlung gegen die Kundgebung der Neonazis vor dem Axel-Springer-Verlag klage ich an, dass ein großer Teil der Hamburger Innenstadt stundenlang den Ausnahmezustand erlebt, indem er hermetisch abgeriegelt wird. Um das Versammlungsrecht von 150 Neonazis und Rechtsradikalen für zwei Stunden zu schützen, organisieren Sie Tausende von Polizisten herbei, die mehrere hundert GegendemonstrantInnen in ihrer Bewegungsfreiheit stundenlang einschränken. Und wievielen AnwohnerInnen und PassantInnen haben Sie dabei dieses Recht verwehrt? Sie bleiben ungezählt. Die vielen Wasserwerfer waren in meine Richtung, auf die demokratische Seite ausgerichtet. (...)
Gänzlich unerträglich war die Situation nach dem Ende der Versammlung, als die Polizei es uns noch einmal fast eine Stunde lang durch ihre Absperrung unmöglich machte, unsere Demonstration mit einer Abschluss-Kundgebung zu einem ordentlichen Ende zu bringen. (...) Provoziert fühlte ich mich zum bösen Ende noch durch das dichte Spalier von PolizistInnen, die uns auf dem letzten Stück zwangsbegleiteten. Waren wir, die wir geduldig wie die Lämmer stundenlang vor den Absperrungen der Polizei ausgeharrt hatten, plötzlich doch noch zu den eigentlichen Gegnern von Ruhe und Ordnung geworden?
Den Neonazis und Rechtsradikalen keinen Fußbreit – so schallte es uns seit Wochen in allen Variationen entgegen. Ein schöner Sommertag in Hamburg, und Sie lassen es zu, dass 150 Neonazis mit ihrer provokativen Versamlung unter dem Schutz von tausenden von PolizistInnen die halbe Innenstadt als ihren Raum in Besitz nehmen und ihm ihre demokratiefeindlichen Bedingungen aufdrücken. (...)
Ist das die neue Qualität im verstärkten staatlichen Kampf gegen Neonazis und Rechtsradikalismus? Ich bin entsetzt und wütend. Sie haben die Nazis mit Ihrem perfekt organisierten Polizeieinsatz furchtbar aufgewertet. Mag sein, dass der heutige Tag für Polizei-Strategen ein voller Erfolg war. Für Demokratie und Zivilgesellschaft war es ein trüber Tag mit einer Niederlage.
Ihre Antwort halte ich für dringend geboten. Mit unfreundlichen Grüßen, Nora Ulrike Betz
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