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Cosmopolitan Lounge

Meisterdiebe auf globaler Mission: Beim Stöbern in ihrem polyglotten Plattenregal verlassen sich die beiden Remixer von der Thievery Corporation ausschließlich auf ihre eigene Geschmackssicherheit

von JÖRG FEYER

Es gibt diese Momente im Leben, die offenbaren sich erst retrospektiv als richtungsweisend. Und dann gibt es diese Momente, die just noch im selbem Moment unsterblich werden.

Rob Garza erlebte einen solchen Moment vor rund fünf Jahren. Damals war er abends mit einem Freund unterwegs, und die Alternative sei gewesen, „entweder in einen House-Club zu gehen oder in diese kleine Lounge, die gerade ein Freund von ihm aufgemacht hatte. Und ich sagte: ‚Lass uns mal diesen neuen Laden auschecken.‘ Als wir reinkamen in diesen sehr eleganten Laden, lief gerade mein Lieblingssong von Antonio Carlos Jobim. Der Freund stellte mir Eric vor, der kaufte mir ein Bier, und ich fühlte mich gleich zu Hause. Wir redeten nur über brasilianische Musik. Tja, und dann bauten wir gemeinsam das Studio auf.“

So pendeln Rob Garza und Eric Hilton heute lässig und stets in besserem Zwirn zwischen Studiopult, Dancefloor, Bar und Label-Büro – die zentralen Stätten der Club-Kultur liegen im Universum ihrer Thievery Corporation alle unter einem Dach und höchstens einen Drink voneinander entfernt. So wie die Stationen ihres musikalischen Reisetagebuchs aus dem Geist einer ebenso weit gefächerten wie geschmackssicheren Plattensammlung: „Du hebst irgendwo ab und landest auf ganz anderem Territorium“, charakterisiert Garza „The Mirror Conspiracy“. Mit seinem zweiten Album setzt das Duo aus Washington D.C. der Sampling-Ära eine völlig schwerelose Krone auf. Die Juwelen dafür sammelten Garza und Hilton nicht nur in Rio, auch auf Jamaika, in Paris, Indien, im Nahen Osten – und schweben doch souverän über verkrampften „Weltmusik“-Versuchen, die zusammenwachsen lassen wollen, was gar nicht zusammengehört.

Womit wir schon bei einer, womöglich der entscheidenden Frage wären: Was genau unterscheidet eigentlich ein gutes Sample von einem schlechten? Rob Garza, der den globalen Blick als Sohn eines weit gereisten UN-Diplomanten spanisch-texanischer Abstammung schon früh üben konnte, nennt es nicht gut und schlecht, sondern „offensichtlich“ und „geschmackvoll“. Dass, was R’n’B-Acts wie Puff Daddy mit „nahe liegenden Dingen von bekannten Kollegen“ treiben, findet Garza „geschmacklos“. Das Duo selbst beschränkt sich darauf, „vor allem Sounds“ zu sampeln. „Die Kick-Drum einer alten Funk-Platte, eine kleine Sitar-Figur. Der Schwerpunkt liegt dann im Arrangieren dieser kleinen Versatzstücke.“ Danach, so Garza, seien ihre Samples oft „so schwer zu durchschauen, dass wir nicht mal um Erlaubnis für die Verwendung fragen müssen.“

Dass ihre Samples – Copyright hin oder her – auf „The Mirror Conspiracy“ so verdammt organisch klingen, dass die Grenzen zwischen Original und Bearbeitung, geborgten Sounds und originärer Kreation vollends verwischen, hängt aber nicht zuletzt damit zusammen, dass „wir vor allem viel Zeit damit verbringen, uns selbst zu sampeln. Eine Bassline, eine Fender-Rhodes-Melodie, ein Percussion-Pattern, das sampeln wir, spielen mit dem Sound herum und packen es in den Sequencer. Unsere Namen verleitet viele Leute dazu zu glauben, dass wir nur Meisterdiebe sind. Dabei klauen wir das Meiste doch wohl bei uns selbst.“

Hilton und Garza stammen aus Maryland. In ihrer gemeinsamen Wahlheimat, der GoGo-Hochburg Washington D.C., die so „schön isoliert“ sei „von allen Trends“, wie Garza sagt, liefen beide lange aneinander vorbei. Garza verdiente sein Geld als Ermittler bei einer Anti-Terrorismus-Firma für den Flugverkehr und werkelte nach Feierabend – schon damals unter dem Namen Thievery Corporation – an hitzigen Breakbeat-Kapriolen, Hilton hatte seine Lounge auf der 18. Straße. Auf dem danach benannten Label frönen sie auf 12-Inch-Tracks weiterhin eigenen Jazz- und Dub-Ambitionen, doch sollen dort künftig auch andere Künstler eine Heimstatt finden. Eine nahe liegende Expansion, zumal die Talente auch in Washington D.C. manchmal einfach auf der Straße liegen. So ist neben Bebel Gilberto, die auf Empfehlung von David Byrne zur Thievery Corporation stieß, und der lokalen Jazzgröße Pam Brooker als Vokalistin auch die gerade mal 20-jährige Lulu auf „The Mirror Conspiracy“ vertreten. Die bedient sonst im Coffeeshop um die Ecke und hatte zuvor allenfalls in der Dusche gesungen. Garza: „Sie hing eines Tages bei uns im Studio rum und sang so vor sich hin. Und wir dachten: Warum packen wir sie nicht auf die Platte? Und auf ,La Monde‘ klang sie dann so großartig, dass wir gleich noch ,Shadows Of Ourselves‘ mit ihr gemacht haben.“

Ihre Tätigkeit als Remixer, von der bisher so unterschiedliche Klienten wie Black Uhuru, Pizzicato 5 und Gus Gus profitierten, haben Garza und Hilton derweil zurückgefahren. Freunde können noch auf einen Gefallen hoffen, der Rest nur darauf, dass „uns die Musik extrem gut gefällt“, wie die von David Byrne, Stereolab, Rockers Hi-Fi. Auch die DJ-Sets der Thievery Corporation sind zum raren Gut geworden. Man wird ja auch nicht jünger. „Wir sind jetzt schon so lange dabei in den Clubs“, sagt Garza. „Ich mache Musik, seit ich 15 bin, aber der Club-Aspekt interessiert uns nicht mehr so, dieses Gruppengeschehen. Da muss man physisch gut drauf sein, um lange wach bleiben zu können. Auch mental, weil sich ständig Dinge verändern, weil alles so trendy ist. Jede Woche ein neuer House-Stil, ein neues Drum-’n’-Bass-Ding.“ Ihnen gehe es jetzt eher um „individuelle Hörerfahrungen“. Aber, sagt Garza: „Im Prinzip verfolgen wir immer noch die Idee, die wir vor fünf Jahren hatten.“ Wer ihr Album gehört hat, muss zu dem Schluss kommen, dass sie auch noch weitere fünf funktionieren wird. Und dabei selbst ein paar „offensichtliche“ Samples verdauen könnte.

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